Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TTB 117: Lichter des Grauens

TTB 117: Lichter des Grauens

Titel: TTB 117: Lichter des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
Vom Netzwerk:
und hüpfte auf einem Bein neben der Liege auf und ab.
    »Laß mich los, du Scheusal!« würgte Anjanet hervor. Er lächelte.
    »Sechsundzwanzig – Ende des Spiels«, sagte der Mann.
    Er zog Handtücher und Decken aus den Fächern und begann die Frau auf der Liege derart festzubinden, wie es mit ihm geschah, wenn das Spiel beendet war. Irgendwo in seinem Hirn liefen die Gedanken in einer Schleife und schufen im Nachvollzug, was sein bisheriger Gegner mit ihm getan hatte.
    »Grüne Lampe«, sagte er zufrieden und deutete auf das Kontrollicht der Energieversorgung, das neben dem Türrahmen leuchtete. »Ende. Bleibe noch sitzen.«
    Um Gottes willen, dachte Anjanet, was hat er jetzt vor? Will er mich töten?
    Sie hatte ein Bein freibekommen, spannte die Muskeln und trat dem Mann fast den Brustkorb ein. Die Handlung, die sie von der Passivität befreite, rettete sie, ohne daß sie es erkannte. Noguera flog rückwärts, prallte gegen den kleinen Ofen und warf ihn von der Konsole. Funken sprühten auf.
    »Ende …«, weinte er, »bleibe noch sitzen.« Dann kicherte er unnatürlich hoch und lange. Er kam auf die Beine, schien keinerlei Schmerzen zu haben und bekam den Fuß zu fassen. Diesmal brach er fast das Gelenk, als er das zusammengedrehte Handtuch als Fessel benutzte.
    »Das Gesicht sticht mich immer hierher«, erklärte er völlig zusammenhängend und deutete auf die Innenseite seines Oberschenkels, »und dann werde ich sehr müde. Dann fängt bald ein neues Spiel an.«
    Er holte eine zweizinkige Gabel aus dem Geschirr hervor und hob sie hoch. Anjanet bäumte sich auf und riß sich die Haut von den Gelenken, aber die provisorische Fesselung hielt stand. Dann rammte der Mann die Gabel in ihren Schenkel – der Schmerz ließ sie ohnmächtig werden.
    »Ende«, sagte Noguera, »bleibe noch sitzen. Es rennt der Wolf, Wolf, Wolf …« Er brach ab, warf sich neben den bewegungslosen Körper der Nannie und begann ihn zu streicheln. Es war weit nach Mitternacht, als Noguera einschlief und Anjanet erwachte. Sie vermochte nicht einmal mehr zu schreien, als sie bemerkte, was geschehen war. Wie ein Film lief immer wieder eine Szene vor ihren Augen ab: Draußen wallte Sand hoch, und als sich die Wolke verteilt und gesetzt hatte, stand der Schrauber. Er sah aus wie ein gigantisches Insekt, und aus der Kanzel kletterte an der Stahlleiter der Pilot hervor:
    Randall, ihr Halbbruder. Müdigkeit, Erschöpfung, körperliche Funktionen des Schutzes und die tröstende Vision ließen Anjanet gegen Morgen in einen flachen Schlaf fallen.
    Eine Kugel brennenden Goldes schob sich über die Olivenwipfel. Die knorrigen Stämme filterten das Licht Alphards, zerteilten es und warfen lange Schatten hinunter in die Bucht. Es war die gleiche Szene wie vor zweiunddreißig Tagen. Anjanet erwachte und hörte zwei Geräusche; das aufgeregte Pfeifen ihrer zahmen ssfaira und das Sirren von Schwingen, die sehr schnell die Morgenluft zerschnitten. Dann wurde das Geräusch lauter, näherte sich und wurde dunkler. Die Sonnenstrahlen leuchteten nicht mehr so stark; Schatten zogen über die Farbenspiele an der Wohnwagendecke; Sand wirbelte hoch.
    Donnernd kamen die Rotoren zur Ruhe.
    »Randall …«, flüsterte Anjanet. Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen Menschen so geliebt wie jetzt ihren Bruder. Dann wurde sie sich ihrer Situation und ihres Aussehens bewußt und erbleichte. Die Motoren schwiegen.
    Klick. Die Halterungen der Leiter rasteten ein. Dann kamen – es schien eine kleine Ewigkeit zu dauern – Schritte näher. Die dünnen Sohlen der Stiefel Randalls, die sie so oft hatte putzen müssen. In jener Situation hatte Anjanet lauter ungeordnete Gedanken und Erinnerungen. Die Sohlen hielten an. Ein Scharren auf dem dicken Kunststoff der ersten Stufe, dann die Stimme.
    »Anjanet – schläfst du?« Es war Randall.
    »Nein«, sagte sie halblaut. »Komm herein, aber erschrick nicht.«
    »Warum soll …« Er stand in der Tür. Wenn Anjanet hinter dem Haar Nogueras hervorsah, konnte sie die breitschultrige Gestalt Randalls erkennen. Er trug den Pilotenhelm unterm Arm, hatte die schwere Waffe am Oberschenkel, neben ihm ringelte sich der lange Schwanz der ssfaira , die ihn erkannt hatte. Das Tier war mit ihnen groß geworden.
    »Anjanet!«
    Verschiedene Empfindungen lagen in Randalls Stimme. Erstaunen, Erschrecken und – Haß. »Was soll das? Wer ist das? Verdammt – er hat dich festgebunden, der Lump.«
    Randall ließ den Helm fallen, sprang zum Bett,

Weitere Kostenlose Bücher