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TTB 117: Lichter des Grauens

TTB 117: Lichter des Grauens

Titel: TTB 117: Lichter des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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richtig?«
    »Völlig«, erwiderte sie, löste sich aus seinen Armen und ging in die winzige Küche. Corte liebte Sangria. Rotwein, Früchte und Cointreau, im richtigen Verhältnis gemischt, ergaben ein vorzügliches Getränk für müde Reisende. Corte rückte einen altersschwachen Rohrtisch auf die Terrasse, stellte zwei Ledersessel dazu und begann zu rauchen. Nieves kam zurück, einen braunen Tonkrug und zwei Gläser in den Händen; aus dem Krug baumelte eine Zitronenschale. Die Sangria floß in die Gläser.
    »Auf uns«, sagte er, und Nieves nickte. Er trank das Glas mit einem wilden Schluck leer.
    »Ich habe mir gestattet, in Sitges einen Tisch für uns und heute zu bestellen. La Cabana Club. Dafür fällt das Ritual unseres Abendspaziergangs aus.«
    »Das ist sehr freundlich und läßt mich auf viele Stunden angeregten Zusammenseins hoffen«, meinte die Frau. Er lachte über ihr wütendes Gesicht, bot ihr eine Zigarette an und rauchte.
    »Deine Naivität ist erfrischend wie ein Glas Sangria«, sagte er dann und deutete auf den Himmel, der sehr schnell dunkel wurde. Einige Sterne waren erschienen; am Horizont loderte ein hellroter Streifen über der See.
    »Wem soll ich sonst glauben?« fragte Nieves.
    »Danke«, erwiderte er. »Ich schlage vor, daß wir uns umziehen und hinunterfahren. Die Sitzung morgen wird nicht leicht sein. Ich lechze nach einem Bad.«
    Sie nickte. »Einverstanden.«
    Zwei Stunden später saßen sie in Drahtsesseln, blickten hinaus aufs Meer und aßen parrillada . Über Lautsprecher kam Musik, und Corte lehnte sich zurück. Er war durch das Schwimmen erfrischt; sein Hirn funktionierte wieder so, wie er es gewohnt war, exakt und schnell. Während er Bilanz zog, blickte Corte Nieves an. Ihr helles Profil hob sich von dem Hintergrund ab, vom dunkelblauen Meer mit den verstreuten Lichtern von Fischerbooten. Und dies alles hing zusammen. Wie Bäche, die in einem Strom münden. Die Irren in den neun Stationen, der Kristallpalast in Den Haag und die Verhandlung, rund zwanzig verlorene Sternenschiffe und die blauhaarige Frau. Ritter Beaujeau und w. Corte, Nieves und der Hügel der zerbrochenen Seelen.
    Der Strom ergoß sich ins Meer; dieses Meer war das All. Zu groß und zu dunkel und zu still für den Menschen. Das All strafte die Menschen mit Wahnsinn dafür, daß Terra weit draußen kolonisierte. Corte ergriff Nieves Hand, zog sie an seine Lippen und sagte:
    »Eines Tages wird dies alles ein Ende haben. Die Reisen und alles. Auf diesen Moment warte ich.«
    Sie hob erstaunt die Brauen.
    »Ich verstehe nicht«, sagte Nieves.
    »Ich werde es rechtzeitig erklären«, versprach er.
    Corte, der sein ganzes Leben zu unzähligen Dingen eine einseitige Distanz bewahrt hatte, hatte vor wenigen Dingen Ehrfurcht, und selbst dies zeigte er selten; er war mehr als nur ein kühler Taktiker. Aber in dem System, das er kontrollierte, paßten einige Dinge nicht. Sie widersprachen der Ordnung, wie sie sich Juan w. Corte vorstellte. Würden die Jahre reichen, diese Ordnung herzustellen? Er wußte es nicht, hoffte es aber.
     
    *
     
    Während Corte ausgestreckt zwischen den Tüchern des Bettes lag, heulte und ächzte im Hof Isidoro Grilmayor. Er drehte eine antike Orgel, deren Tonart und Takt weder miteinander harmonierten noch mit dem Poem von Garcia Lorca, das Isidoro sang. Es war eine Tortur, zuzuhören, aber dieses eine Lied gab dem Krüppel Lebenskraft für Monate. Endlich schwieg der Pförtner. Corte nahm seinen Reisewecker, hob ihn vors Gesicht und sagte: »Sechs Uhr.« Langsam schlief der Mann ein. Sein Traum war bevölkert mit den Bildern aus einem Buch, das den Titel Sternenflug trug: detonierende Schiffe, sterbende Piloten, sanft lächelnde Irre, schön wie Toreros, das Netz über dem Gesicht des Ritters. Ein langer Summton weckte ihn um sechs Uhr.
     
    *
     
    Als der letzte der vierundzwanzig Wissenschaftler eingetreten war und sich gesetzt hatte, stand Corte auf, verbeugte sich knapp und sagte:
    »Gnädige Frau, meine Herren – ich hoffe, daß die jährliche Kontrolle sehr schnell vonstatten gehen wird. Ich begrüße Sie und danke Ihnen im Namen des Vorstandes. Die psychologische Abteilung des Terranischen Imperiums spricht Ihnen allen ihre Anerkennung aus für das, was Sie geleistet haben und leisten.«
    Leises Murmeln der Zustimmung antwortete ihm. Sämtliche Wissenschaftler des Hügels waren anwesend. Sie saßen in dem Raum für Gruppenunterricht der Endklassen. Die komplizierten Geräte waren

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