TTB 119: Computer der Unsterblichkeit
laut Beifall. Der Psychiater fühlte sich aufgerufen, seinen Berufsstand zu verteidigen.
»Ich bin nicht hierher gebeten worden, um den Herrn Staatsanwalt und den Gerichtsvorsitzenden zu untersuchen …«
Dem Richter entging die stillschweigende Folgerung nicht, daß dieser Zeuge mit der Möglichkeit rechnete, alle außer ihm seien geistesgestört. Der Verteidiger sprach weiter, bevor Dr. Fairfax den Eindruck seiner Worte erkannte und korrigieren konnte.
»Noch eine weitere Frage«, sagte er schnell. »Glauben Sie, daß das Zögern einer Frau, ihr Alter anzugeben, ein Zeichen von Geistesgestörtheit sei?«
Der Saal erdröhnte von Applaus und Gelächter. Die Mundwinkel des Psychiaters zuckten unwillig, aber er sagte nichts. Der Richter, der nun endlich auch fühlte, wie das Publikum reagieren würde, gestattete sich ein kleines, kritisches Lächeln. Joe schaltete sich in die Erleichterung des Richters ein, ließ Großzügigkeit und Milde in seine Stimmung einfließen und unterstützte sein Selbstgefühl mit warmen und noblen Vorstellungen.
… die Weisheit eines Salomon … gerecht und unbestechlich … mutiger und unbeirrbarer Verteidiger der Menschenrechte gegen den wachsenden Druck eines Polizeistaates … mitfühlend und verständnisvoll …
Er hob den Kopf, als posiere er für einen Fotografen.
Der Verteidiger wandte sich pathetisch dem Richtertisch zu.
»Euer Ehren, ich vertraue darauf, daß das hohe Gericht in seiner Weisheit mit uns übereinstimmt, daß die Beklagte nicht noch weiteren Unwürdigkeiten unterworfen werden sollte. Sie hat, und das ist klar zu sehen, quälende Erfahrungen hinter sich. Sie braucht Ruhe. Die medizinische Wissenschaft wird die Tatsachen ihres Falles zur rechten Zeit einer unbeeinflußten Prüfung unterziehen, was von großem Nutzen für die gesamte Menschheit sein könnte. Wir alle sollten mit dem Blick auf dieses höhere Ziel zusammenarbeiten.«
Der Richter bedauerte, daß er die Pressefotografen nicht zugelassen hatte.
»Einstweilen«, hub der Verteidiger von neuem an, »ziehe ich unseren Antrag, daß die Beklagte gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen sei, zurück.«
Der Richter, der Staatsanwalt und der Psychiater blickten ihn erstaunt an. Im Saal wurde es still.
»Statt dessen bitte ich das hohe Gericht, die Anklage wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses fallen zu lassen.«
Im Zuschauerraum brandete donnernder Applaus auf. Der Richter blickte mit milder Mißbilligung in den Saal, dann hob er seine Hand, und es trat Stille ein. Mit wenigen wohlgesetzten Worten verkündete er die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit, dann erhob er sich würdevoll und verließ unter brausendem Beifall den Saal.
Der Verteidiger nahm Mables Arm mit höfisch anmutender Gebärde und führte sie schnell hinaus. Er konnte nicht verhindern, daß die Reporter und Fotografen ihn auf den Stufen vor dem Justizgebäude stellten. Aus dem Sperrfeuer der Fragen beantwortete er nur eine.
»Wen vertritt Ihre Firma in diesem Fall tatsächlich?«
Der Anwalt lächelte höflich und nichtssagend.
»Wieso, meine Klientin, natürlich«, erwiderte er.
Aber hinter dem Lächeln stand der Name, auf den Joe gewartet hatte – der Name Howard Kennedys, des Multimillionärs, der erst kürzlich in jenem Zeitungsinterview so überraschend für Bossy und die freie Forschung eingetreten war.
11
Die Kennedy Enterprises Inc. residierte in einem modernistischen vierzehnstöckigen Gebäude im Zentrum des Banken- und Versicherungsviertels. Es war der Mittelpunkt einer weitverzweigten Organisation, deren Macht und Reichtum manche kleine Nation in den Schatten stellte.
Als Joe in der Halle stand und die Wegweisertafel las, kam ihm zum erstenmal der Umfang dieses Unternehmens zu Bewußtsein. In der langen Liste der Kennedy-Gesellschaften, die hier ihre Zentrale hatten, war nahezu jeder Industriezweig vertreten.
Natürlich hatte er wie alle anderen den Namen Howard Kennedy stets mit weitreichenden industriellen und finanziellen Interessen verbunden. Nun sah er in alphabetischer Reihenfolge eine Unzahl von Tochtergesellschaften aufgeführt, deren Skala von Bergwerksunternehmen bis zum Andenkenhandel reichte.
Howard Kennedy war offenbar ein Mann, der sich von der Meinungskontrolle nicht hatte unterdrücken lassen. Wie es manchmal in einer traditionsverhafteten und im Untergang begriffenen Zivilisation geschieht, war er eine anachronistisch in die Gegenwart ragende Gestalt aus einer vergangenen
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