TTB 119: Computer der Unsterblichkeit
Wahlzettel dahin, wo es am handlichsten war. Aber dieser Fall lag anders. Wie er sich hier verhielt, konnte seinen Chancen nützen oder schaden.
In jedem Fall durfte er sich nur nach dem Buchstaben des Gesetzes richten, aber schließlich gab es für jedes Ja im Gesetzbuch auch ein Nein, und letzten Endes lief es immer auf einfache Zweckmäßigkeit hinaus. Wie eine psychiatrische Diagnose ließ sich fast jeder Fall so schaukeln, daß er in das gewählte Schema paßte. Hier mußte er vorsichtig spielen. Er warf dem Staatsanwalt einen bedeutungsvollen Blick zu.
»Haben Sie irgendwelche Gründe, die geistige Gesundheit dieser jungen Frau in Frage zu stellen?«
»Ein unwiderlegbarer Beweis dafür ist die Tatsache, daß sie völlig unbekleidet war, als sie auf einem öffentlichen Verkehrsweg festgenommen wurde …«
»Unzulänglich und irrelevant«, erklärte der Verteidiger sofort. »Nacktheit ist kein Beweis für geistige Unzurechnungsfähigkeit. Sollte dieser Fall zur Verhandlung kommen, werden wir nachweisen, daß unsere Klientin lediglich schlafwandelte.«
»Das möchte ich erleben«, murmelte der Staatsanwalt. Laut sagte er: »Ein beratender Gerichtspsychiater hat die Beklagte bereits einer vorläufigen Untersuchung unterzogen. Ich bitte Euer Ehren, ihn zur Sache sprechen zu lassen.«
Der Richter nickte. Er mußte sich beiden Seiten gegenüber fair verhalten, schon um der nächsthöheren Gerichtsinstanz keine Möglichkeit zur Kritik zu geben.
»Der Antrag ist genehmigt.«
Während der Psychiater in den Zeugenstand gerufen wurde, versuchte Joe telepathischen Kontakt mit Mable herzustellen. Zu seiner Bestürzung gelang es ihm nicht. Er schien die Peripherie ihres Geistes zu berühren, verlor sich dann aber im charakteristischen Gedankenmuster eines Traums. Glaubte sie, daß sie noch immer träumte? Ihre Abwesenheit, ihr mangelndes Interesse, ihre negative somatische Reaktion auf die ganze Prozedur verwirrte ihn. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Zeugen zu, der bereits zu sprechen begonnen hatte.
»Sie sagten, Sie hätten versucht, ein Gespräch mit der Beklagten zu führen«, soufflierte der Staatsanwalt. »Verwendeten Sie das Wort ›versucht‹ mit Absicht?«
»Selbstverständlich«, gab der Psychiater zurück. Es war undenkbar, daß er seine Erklärungen anders als wohlbedacht abgab. »Ich sagte ›versucht‹, weil die Patientin zu beunruhigt war, um sich für eine Zusammenarbeit aufgeschlossen zu zeigen.«
»Würden Sie sagen, daß sie das Benehmen einer vernünftigen Person zur Schau trug?«
»Das würde ich nicht!«
»Haben Sie die Beklagte nach ihrem Alter gefragt?«
»Das habe ich getan. Sie erwiderte, sie habe kein Alter.«
»Haben Sie die Beklagte gefragt, warum sie nackt auf die Straße gegangen ist?«
»Jawohl. Sie antwortete, sie habe das Gefühl gehabt, der Kälteschutz, den ihr die Haut biete, sei ausreichend.« Seine Miene machte deutlich, daß der Glaube, Kleidung habe nur eine Funktion als Kälteschutz, für ihre Geistesgestörtheit Beweis genug sei.
Offenbar dachte der Staatsanwalt genauso. Er nickte dem Richter bedeutsam zu und trat von seinem Pult zurück. Der Verteidiger näherte sich dem Psychiater in der Haltung eines erfahrenen Großwildjägers, dem man zumutet, auf ein Kaninchen zu schießen. Er stellte einen Fuß auf die Stufe vor dem Zeugenstand, zupfte sorgsam an der Bügelfalte seiner Hose und neigte sich wie im vertraulichen Gespräch seinem Gegenüber zu.
»Glauben Sie, daß es der Beklagten auf irgendeine Weise gelungen ist, ihre verlorene Jugend wiederzugewinnen?«
Der Psychiater errötete unwillig. Er fragte sich, ob es nicht möglich sei, ein Gesetz in Vorschlag zu bringen, das Rechtsanwälten untersagte, das Beurteilungsvermögen eines Psychiaters anzuzweifeln.
»Nein, ich glaube es nicht«, sagte er kurz.
»Wollen Sie das vorliegende Beweismaterial außer acht lassen? Die Fingerabdrücke? Die Fotografien? Die Zeugenaussagen zahlreicher Personen, die sie identifiziert haben?«
»Ich bin überzeugt, daß all das ein aufgelegter Schwindel ist.«
»Und darum etwas, das kein vernünftiger Mensch glauben kann?«
»Die Behauptung, daß es eine solche Verjüngung gebe, liegt für einen vernünftigen Menschen jenseits aller Glaubwürdigkeit.«
»Wenn also der Herr Staatsanwalt und der Gerichtsvorsitzende der Verjüngung meiner Mandantin Glauben schenkten, würden Sie ihnen dann die Vernunft absprechen?«
Im Gerichtssaal wurde es unruhig. Mehrere Frauen klatschten
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