TTB 119: Computer der Unsterblichkeit
»Hier zu warten ist zwecklos. Gehen Sie doch nach Hause.«
Ächzen, Gelächter und höhnische Rufe beantworteten seine Worte. Dies war bloß ein einzelner Mann, ein armes Würstchen, und sie kannten ihre Macht und nützten sie aus, um ihm das Leben schwer zu machen.
»Ich kann nicht einfach so nach Hause gehen«, schrie eine Frau. »Mein Alter will, daß ich heute abend wieder wie achtzehn aussehe!«
»Achtzehn!« kreischte eine andere. »Ich wäre schon mit fünfunddreißig zufrieden.«
»Wir wollen sie sehen!« gellte eine dritte Stimme. »Es tut Ihnen doch nicht weh, wenn Sie uns einen Blick hineinwerfen lassen.«
»Das ist nicht fair!« schrie wieder eine. »Wenn man bedenkt, was sie war, und ich, die immer eine gute und anständige Frau …«
Der Rest ihrer Worte ging im Gelächter und in den spöttischen Zurufen ihrer Geschlechtsgenossinnen unter.
In seiner Verzweiflung suchte sich Joe eine der lautesten Frauen aus und gab ihr die Idee ein, die Voruntersuchung sei auf zwei Uhr verschoben worden.
»Was? Sie – Sie Hampelmann«, schrie die Frau plötzlich den Gerichtsdiener an. »Sie wissen, daß die Sache verschoben ist, und lassen uns hier herumstehen, ohne ein Wort zu sagen!«
»Verschoben?« schrillte eine andere Stimme. »Sie haben die Verhandlung verschoben?«
»Natürlich haben sie!« schrie die erste Frau wieder. »Diese schmutzigen Politiker wollen wieder für sich selbst abkochen. Kommen Sie, wir gehen zum Bürgermeister. Wir wollen doch sehen, ob man mit uns Steuerzahlern alles machen kann!«
Der Korridor begann sich zu leeren, je weiter die Nachricht um sich griff. Die Menschenmauer vor dem Gerichtsdiener lockerte sich auf. Joe drängte sich durch die erste Bresche und trat zum verdutzt dreinschauenden Beamten.
»Gute Arbeit«, flüsterte er ihm anerkennend zu. »Es hätte zu einem Aufruhr ausarten können, wenn Sie nicht rechtzeitig gehandelt hätten. Ich werde nicht vergessen, Ihre Umsicht zu erwähnen.«
Ohne eigentlich zu wissen, warum, öffnete der Gerichtsdiener die Tür gerade so weit, daß Joe hindurchschlüpfen konnte. Mehrere Frauen sahen es, aber der massive Türflügel sperrte ihr wütendes Protestgeschrei aus.
Im Gerichtssaal war es relativ still. Vor dem Richtertisch war eine juristische Debatte im Gange, doch Joe achtete nicht darauf, während er Mable auszumachen suchte. Als er den abgeteilten Raum vor den Zuhörerbänken das erste Mal absuchte, sah er sie nicht. Endlich entdeckte er sie am Tisch des Verteidigers, wo sie von einem massiven, grauhaarigen Mann fast verdeckt saß. Der Mann war aufgestanden und hielt die Hand hoch, um die Aufmerksamkeit des Richters auf sich zu lenken.
»Euer Ehren«, begann er, als der Richter in seine Richtung blickte, »den Einwänden meines Kollegen möchte ich den weiteren Einwand der völligen Irrelevanz beifügen. Unbekleidet auf einer öffentlichen Straße zu erscheinen, ist ein einfaches Vergehen. Mehr ist unserer Klientin nicht vorzuwerfen. Der Herr Staatsanwalt hat keinen einzigen Rechtsgrundsatz anführen können, der unserer Klientin die Freilassung gegen Kaution verweigern würde. Man muß es schon als einen bedauerlichen Mißgriff betrachten, daß sie über Nacht festgehalten wurde.«
Der Staatsanwalt wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch. Es stimmte, daß man sie keines anderen Vergehens anklagen konnte. Ein dummes Versehen, wenn man bedachte, welche Vielzahl von Möglichkeiten sich da anbot. Aber schließlich hatte niemand damit gerechnet, daß San Franciscos bekannteste Anwälte plötzlich zu Mables Unterstützung aufmarschierten.
»Mein verehrter Kollege mißversteht den offenkundigen Sinn meiner Worte«, verteidigte er sich. »Ich will seiner Mandantin keineswegs das Recht auf Freilassung gegen Kaution streitig machen. Ich beantrage nur im öffentlichen Interesse, daß sie zwecks eingehenderer Untersuchung in der gerichtspsychiatrischen Abteilung verbleibt. Ich bitte das Gericht, zwei unabhängige Psychiater, die sowohl das Vertrauen der Verteidigung als auch das meines Büros genießen, zu bestellen, den Geisteszustand der Beklagten zu untersuchen.«
Der Richter blickte von einem Sprecher zum anderen und malte kleine Männchen auf sein gelbes Schreibpapier. Joe wußte, daß er an die bevorstehenden Richterwahlen dachte. Gewöhnlich zahlte es sich aus, das Spiel der beamteten Justizmaschinerie zu spielen, denn die Öffentlichkeit kannte den einen Richter so wenig wie den anderen und machte das Kreuz auf dem
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