Tuchfuehlung
das haben Träume ja manchmal so an sich. Träume können schließlich nicht immer nur schön sein.
Mach jetzt die Augen auf, und du wirst sehen!
Aber das ist völlig überflüssig. Ich muss sie nicht aufmachen, meine Augen. Ich hab schließlich auch Ohren.
Es gibt sie wirklich. Sie sind da. Direkt neben mir, hinter mir, vor mir. Überall. Und sie geben keine Ruhe. Auch die vier Tätowierten nicht. Sie wollen ihren Spaß.
«Erzähl doch mal ‘ nen Schwulenwitz, Zeno!», sagt Alex jetzt. Dabei fixiert er mich. Irgendwas ist in seinem Blick, das mich frieren lässt.
«Ich muss aufs Klo!», sage ich und verlasse die Küche.
«Komisch!», hör ich Tom sagen. «Äußerst komisch. Bei Schwulenwitzen muss Zeno nämlich immer aufs Klo! Was bedeutet das, Leute?»
«Der holt sich wahrscheinlich einen runter!», sagt Jannik. «Schwulenwitze machen ihn wohl an!»
Ich flüchte ins revolutionäre Nest.
Da laufen weltbewegende Vorbereitungen, die großen kol lek tiven Prozesse. Für die Not eines einzelnen Flüchtlings ist da kein Platz. Ja, vielleicht wenn ich jetzt aus Bosnien käme oder ein brasilianisches Straßenkind wäre. Zeno Zimmer manns individuelle Selbstbespiegelung stört nur die Vorbe rei tungen für ihre lebenswichtigen Kämpfe.
Doch vorerst bin ich hier sicher. Und ihre geheime Sitzung ist nicht so geheim, dass sie mich rauswerfen. Auch mir gewähren sie Asyl.
Ich finde ein Plätzchen für mich. Zu Füßen von Rosa Luxem burg. Anfangs versuche ich noch herauszuhören, wann und wo welche Revolution stattfinden soll. Aber irgend wann gebe ich auf. Es scheint sich doch eher um eine Aktion gegen den geplanten Golfplatz zu handeln. Die Weltrevo lution hat wohl doch noch etwas Zeit, sodass ich mich an den Gedanken gewöhnen kann. Vielleicht hat Eva ja die richtigen Argumente, die mich überzeugen können.
Jetzt dreht sie sich zu mir um und sagt:
«Willst du uns nicht unterstützen, Zeno? Wir könnten noch jemanden für unsere Transparente gebrauchen. Du kannst doch so gut malen!»
«Muss ich mir überlegen!», sage ich.
Und weiß doch genau, dass mich momentan ganz andere Dinge plagen als der Bau eines Golfplatzes.
In Evas Bücherregal finde ich neben Marx, Engels und der Mao-Bibel auch mein augenblickliches Lieblingsbuch. Die Grund l age für mein Biologiereferat. « Die Ernährungstherapie der heiligen Hildegard. Rezepte, Kuren und Diäten».
Dieses Buch bedeutet eine Wende.
Mit diesem Buch bricht ein neues Zeitalter an. Der Beginn einer gesunden, bewussten Lebensweise, die mir sehr ein leuch tet. Eines ihrer Wundermittel hat sich schließlich schon für mich bewährt. Und morgen ist die Premiere von Hilde gards Wunderkorn: Dinkel.
Irgendwann verstummen die Techno-Bässe, irgendwann verlassen diese und jene das Haus.
Um eins sind wir endlich allein.
Ich habe nichts zu befürchten. Das weiß ich jetzt. Evas Interesse gilt der Revolution, was auch immer das bedeutet. Das spüre ich. Revolutionäre sind zuallererst mit ihrer Partei verheiratet. Da hat nichts anderes Platz. Da sind nur die hinteren Reihen frei.
«Keine Angst, Zeno!», sagt sie und grinst. Sie wirft mir eine Decke auf die Matratze. «Mein Angebot gilt trotzdem noch. Wenn dir kalt ist, dann wärm ich dich. Mehr musst du nicht befürchten. Ich weiß schließlich, dass du lieber mit kleinen Jungen Höhlen baust!»
Sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Wie einem kleinen Bruder. Wie Laura.
«Träum was Schönes!», sagt sie.
Dann lässt sie mich mit mir und meinen unerledigten Pro blemen allein.
Sonntag. Ein Uhr. Sie sind pünktlich. Wie immer, wenn ich sie zum Essen einlade.
Heute habe ich nur eine einzige Stunde in der Küche verbracht. Hildegards Speisen verlängern auf mehreren Ebenen das Leben. Einmal, weil sie gesünder sind, und zum ande ren, weil ihre Zubereitung weniger aufwendig ist, als die der Speisen von Wolfram Siebeck und Paul Bocuse.
Mein Vater und Frau Minnerup kommen mit hohen Erwar tungen. Heute sind sie enttäuscht. Das war klar. Schließlich hab ich sie wochenlang mit Fünf-Gänge-Menüs verwöhnt. Schade, dass sie so wenig flexibel sind. Mir schmeckt es gut. Sie aber verziehen das Gesicht wie kleine, verwöhnte Kinder und stochern lustlos in den grauen Knödeln.
Ich habe mir mit meiner Medizin Mut angetrunken.
«Ich finde, ihr könntet freundlicher mit diesen heiligen Knödeln umgehen!», sage ich. «Ihr stochert im nährstoff reichs ten Korn der Erde herum. Es enthält hochwertige Ei weiße, komplexe
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