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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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Obwohl alles in mir auf sie hören möchte ...
    Dann – wir tun es gerade in Jans Zimmer, versteckt hinter dem Kleiderschrank – steht plötzlich Tristan vor uns.
    Er kriegt einen roten Kopf.
    «Ihr Schweine, ihr!», sagt er bloß.
    Wir ziehen unsere Hosen hoch. Jan geht wortlos raus.
    Ich möchte sterben. Wie damals. Jetzt ist es schlimmer, viel schlimmer. Ich bin ein Schwein! Ja, Tristan hat Recht.
    Auf dem Flur begegne ich den beiden.
    Tristan guckt angeekelt. Jan kommt einen Schritt auf mich zu, spuckt mir vor die Füße und zischt: «Schwule Sau.»
    Ich bin wie gelähmt. Und wünsche, der Himmel würde ein stürzen, die Welt untergehen. Doch es bleibt, wie es ist. Ich höre den Gong, der zum Abendessen ruft.
    Da renn ich in mein Zimmer, packe meinen Rucksack und verlasse das Internat. Unbemerkt. Ich laufe die Straße zum Bahn hof hinunter, habe Glück, mein Zug kommt in zehn Minuten. Erst als ich im Abteil sitze und der Zug diese Stadt verlässt, fühle ich mich sicher.
    Mein Vater empfängt mich an der Wohnungstür. Er weiß alles. Aber er spricht nicht darüber.
    «Ich hol morgen deine Sachen», sagt er. «Und such eine neue Schule für dich aus.»
     
    Wir haben uns nie besonders geliebt. Mein Vater und ich. Ich habe ihn immer schon enttäuscht. Ich war nie der Sohn, den er sich gewünscht hat. Aber jetzt, jetzt war das letzte Band gerissen. Er konnte immer weniger mit mir anfangen. Ich war ihm unheimlich. Er hat sich immer weiter von mir zurückgezogen. Und endgültig resigniert.
    Ein schwuler Sohn!
    Er schickt mich zur Erziehungsberatung. Dort ist man freund lich zu mir. Frau Beck, meine Therapeutin, versucht mich von meinen Schuldgefühlen zu befreien.
    «Du bist völlig normal, Zeno. Sex mit Jungen zu haben ist nicht pervers. Das tun die meisten in deinem Alter. Und wenn du wirklich schwul wärst oder würdest – steh zu dem, was du bist. Ich weiß, das ist nicht immer leicht in dieser Gesellschaft. Und es ist verdammt traurig, dass es so ist. Aber es wird sich ändern. Irgendwann!»
    Zehn Sitzungen bei Frau Beck. Dann weiß ich zwar, dass zehn Prozent der Menschheit homosexuell sind, dass Homosexualität nicht mehr überall strafrechtlich verfolgt wird, dass es eine ganz normale Lebensform ist, dass ich keinen Grund haben muss, mich zu schämen, mich zu verstecken, mich schlecht und minderwertig zu fühlen. Aber Frau Becks Sitzungen können mein Problem nicht lösen. Ich fühle mich weiterhin als schwule Sau. Und ich will alles sein — nur das nicht!
    Nie wieder!
    Nie wieder!
    Nie wieder!
    Ich habe durchgehalten.
    Mein Panzer hat mich geschützt.
    Bis jetzt hat er mich geschützt. Meine neue Schutzhaut aus Leder ist mein Drachenblutbad.
     
    Eva hat keine Zeit. Am Mittag nach der Schule nicht. Am Abend nicht. Ich bin enttäuscht. Meine beste Freundin, die einzige, hat keine Zeit für mich.
    Dabei hab ich doch bloß einmal im Jahr Geburtstag.
    «Die Revolution, oder was?»
    «Genau!», sagt sie. «Sie ist kurz vor dem Ausbruch!»
    Wenn das so weitergeht, dann fange ich an, sie zu hassen...
    Mein erster Geburtstag, an dem wirklich niemand da ist.
    Nur im Postkasten ei n Brief an Zeno Zimmermann. Tür kisfarbener Umschlag. Schwarze Tinte. Irgendwas ist anders. Ich kann die Adresse nicht mehr durchstreichen ...
    Ich öffne den Brief, noch bevor ich Evas Päckchen öffne.
     
    Lieber Zeno,
     
    ich w ä r jetzt gerne bei dir und würde dir dein Geburtstagsessen kochen. Weißt du noch, was du dir früher immer gewünscht hast?
    Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber ich möchte, dass du weißt, dass unser Haus hier auch dein Haus ist. Du kannst jederzeit kommen. Du kannst wieder fortgehen. Du kannst aber auch für immer bleiben. Einen schönen Tag dir, und ein gutes Jahr.
     
    In Liebe, deine Mama!
     
    Der Panzer ist leck. Irgendwas ist passiert. Ich muss heu len. Obwohl ich die Zähne zusammenbeiße und mir kaltes Wasser übers Gesicht laufen lasse.
    Dann Evas Päckchen. Etwas Weiches, eingewickelt in rotes Seidenpapier. Ein kleiner weißer Plüschhase! Das Leck wird größer. Auch die Lederhaut rettet mich nicht. Ich reiße sie mir vom Körper, lasse Badewasser einlaufen, koche mir mei nen Wundertrunk und verstecke mich unter der dicken Schaumdecke eines Melissenbades. Dann schließe ich die Augen. Schon ziemlich bald spüre ich angenehme Wärme. Innen und außen. Der Regen klatscht gegen die Fenster, der Wind pfeift ums Haus. Mir ist warm. Sonderbar warm. Ich lasse es zu. Ich denke an sie.
    Immer

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