Tuchfuehlung
mich?»
Er sitzt auf dem gelben Sofa. Natürlich charmanter, kultivierter, gepflegter als die Killer. Er hat gute Umgangs for men, er schlürft den Kaffee nicht, er nimmt genussvoll Schluck für Schluck.
«Ich komme zum Maßnehmen!», sagt er.
Ja, so ist er. Er weiß, dass ich ja sage, ohne dass er mich gefragt hat, wie ich mich entschieden habe. Warum ist das so? Bei den Killern war es die Angst, dass sie mich fertig machen könnten. Sie waren stärker als ich. Und sie waren zu dritt.
Was ist mit ihm? Ich kenne ihn nicht. Ich habe überhaupt nichts mit ihm zu tun. Angst habe ich auch nicht vor ihm. Aber er beeindruckt mich. Irritiert mich mit seiner Sicherheit, mit seiner Autonomie, mit seiner Schönheit. Ja, es ist schön, ihn anzuschauen ...
Ich hole das Maßband aus meinem Zimmer, einen Block, einen Stift.
«Soll ich mich ausziehen?»
Er sagt diesen Satz wie den selbstverständlichsten Satz der Welt. Wie «Hast du gut geschlafen?» oder «Schönes Wetter heute!».
Und doch werde ich wieder rot. Und doch bricht mir der Schweiß aus. Und doch zittern meine Hände.
«Nein!», sage ich.
«Bist du sicher?»
«Ja!»
Was läuft hier für ein Spiel?
Dreh ich langsam durch oder was?
Seh ich nur noch Schwule? Überall nur noch Schwule, und jeder Satz ein Angebot?
Zeno Zimmermann! Du spinnst! Pass auf! Sonst bist du wirk lich bald reif für die Klapse!
Schulterbreite, Armlänge, Körperlänge.
Taille, Seitenlänge, Schrittlänge.
Hoffentlich bemerkt er mein Zittern nicht! Hinter den Knöp fen seiner Jeans ... nicht zu übersehen ... nein Zeno, guck weg!
«Ich bin fertig!»
Ich bleibe stehen. Mehr ist nicht zu sagen.
Er kann jetzt gehen.
Er soll jetzt gehen.
Aber er geht nicht.
«Musst du nicht zur Schule?»
«Zurzeit nicht!», sage ich.
Mehr will ich nicht sagen.
Irgendwann gibt er auf.
«Wann ist Anprobe?», sagt er.
«Ich sag Bescheid!», antworte ich.
«Aber lass dir nicht zu viel Zeit. Sonst steh ich wieder auf der Matte!»
Er zwinkert mir zu. Er grinst. Ziemlich unverschämt. Reich lich unwiderstehlich.
Aber ich widerstehe ihm. Ich will mich nicht auf jedes Angebot einlassen. Nein! Nur noch auf ernsthafte Absichten.
An den schnellen Sex will ich mich nicht gewöhnen. Ich will nicht so werden wie Leon. Oder die Gay Cannibals! Nie! Und doch weiß ich, dass es ganz schnell passieren kann, und dann gibt es kein Zurück mehr. Die Zeitschriften sprechen eine deutliche Sprache. Und ich hab sie begriffen.
«Wie viel brauchst du für den Stoff?»
Er holt drei blaue Scheine aus seinem Portemonnaie.
«Reicht das?»
Geld ist anscheinend kein Problem für ihn. Hat dieser Mann überhaupt Probleme? Jetzt schaut er auf die Uhr. Ja, so hab ich mir das vorgestellt. Ein Mann wie er hat niemals Zeit.
«Ich muss an die Arbeit. Vielleicht hast du ja Lust, mal bei den Proben zuzuschauen. Ich inszeniere gerade ein Handke-Stück. Vielleicht w ä r das eine berufliche Perspektive für dich, das Theater. Maske, Kostüm ... Könnte ich mir gut vor stellen !»
Dann ist er weg. Im Wohnzimmer hängt noch ein Hauch seines Parfüms. Ich kenne es nicht. Aber es gefällt mir. Nur eine winzige Spur zu aufdringlich. Wahrscheinlich Absicht. Er will auf sich aufmerksam machen. Er will im Mittelpunkt stehen. Er braucht den Applaus. Wahrscheinlich auch deshalb dieser Beruf. Aber er gefällt mir. Irgendwie gefällt er mir. Martin M. scheint ein interessanter Mann zu sein.
Ich steig in meine Lederhaut und geh in die Stadt. Mir ist unbehaglich. Wenn mich jetzt jemand sieht! Aber ich tauche unter im Gewühl der Massen. Lauras Palästinensertuch reicht bis zur Nasenspitze. Unkenntlich, hoffe ich. Trotz meiner Bedenken flüchte ich nach meinem Einkauf noch nicht in die sicheren Mauern der Mozartstraße. Die Nähmaschine kann warten. Ich schlage den Weg zum Bahnhof ein.
Leon! Warum? Weil er einer von ihnen ist? Weil ich einer von ihnen bin? Weil ich nicht allein sein will?
Ich finde ihn nicht. Arbeitet er gerade? Auf dem Herrenklo werde ich nicht nach ihm suchen. Nein, so genau will ich es nicht wissen. Aber ich bin enttäuscht, dass er nicht da ist.
Mein Dienst beginnt um vier.
Ob Martin M. da ist? Nein, natürlich nicht. Er ist im Thea ter!
Ich bin allein mit ihr. Sie sitzt auf dem roten Teppichboden, rührt mit einem Holzlöffel die Kieselsteine im Blechtopf und singt. In dieser ganz besonderen Sprache. «Dambadidala wadama!» Sophias Sprache eben.
Ich geh in die Küche, hole mir ein Glas Saft. Dann tue ich, was
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