Tuchfuehlung
Romantik? Kerzenschein und Musik, völlig über flüssig!
Ja, auch ich bin Dreck, verdreckt wie dieser Raum!
Die Hosen, hastig aufgeknöpft, heruntergerissen, in Leons Augen ein seltsamer Glanz. Verlangen?
Lust? Gier?
Ich kenn mich nicht aus.
Er dreht mir den Rücken zu, beugt sich herunter.
«Stoß zu!», sagt er und atmet schwer.
Und ich tue es. Fast besinnungslos stoße ich mein Glied in ihn hinein. Als wollte ich ihn durchbohren. Ihm wehtun. Mich befreien von meiner Wut und Trauer, Lust und Gier...
Ein Stöhnen, kurz nur, befreiend! Vorbei!
Meine Stimmung ist trostlos, wie zuvor.
Ich muss weg! Ganz schnell hier weg.
«Am Samstag ist Disco in der alten Fabrik. Einmal im Mo nat eine Disco, speziell für uns! Kommst du ?»
«Mal sehn!»
Sophia-Dienst von vier bis sechs.
Meine rechte Gesichtshälfte hat sich zurückgemeldet. Mein Zahn tuckert nur noch wenig. Heute schafft es auch Sophia nicht, mein Stimmungsbarometer steigen zu lassen.
Ich lese mit wenig Begeisterung eins ihrer beiden Lieblingsbücher.
«Guten Morgen, lieber Tag!
Aufgewacht,
die Sonne lacht.
Aus dem Bett gehüpft,
in die Kleider geschlüpft.
Und nicht vergessen,
Frühstück zu essen.
Dann aber raus,
in den Garten am Haus.
Im grünen Gras
macht Spielen Spaß.»
Einmal, noch einmal, immer wieder ... bis mir einfällt, dass wir auch was anderes tun könnten. Etwas, was mich aus dem Stimmungskeller holen könnte. Weihnachtsplätzchen backen. Zum Beispiel!
Zimtsterne und Vanillekipferl.
Pünktlich um sechs sind wir fertig. Und als Michael mich ablöst, duftet die ganze Wohnung.
«Mensch, Zeno!», sagt er und verdreht die Augen.
Unsere Wohnung ist noch leer. Aber irgendwas wird noch passieren ... Ich lege meinem Vater Dr. Kruses Entschuldigung auf den Küchentisch. Dazu einen Zettel von mir.
Bin schon im Bett. Zahnschmerzen.
Ohne Gruß.
Ich packe meine Schultasche, stelle mir den Wecker, schließe die Tür hinter mir ab. Dann zieh ich die Rollläden zu, damit mich das blaue Neon-Kreuz der Nicolaikirche nicht die ganze Nacht mahnend verfolgt.
Worauf hast du dich da eingelassen, Zeno Zimmermann?
Sei still! Das weiß ich selbst! Ich bin nicht mehr neun. Und zur Beichte geh ich schon lange nicht mehr ... Das ist meine Sache!
Ich putze meine Zähne – heute besonders lange – , damit ich den schlechten Geschmack verlier. Aber ich werde ihn nicht los.
Das gelingt mir erst am nächsten Morgen mit der dritten Tasse Kaffee. Die lauernden Gespenster vertreibe ich durch eine eiskalte Dusche. Noch bleiben sie auf Distanz. Ich werf mich in meine Einheitskleidung. Unauffälliger Jeanstyp heu te. Die Lederklamotten leg ich in die Truhe zu den ausran gierten Sachen.
Beginnt jetzt ein neues Leben?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht einfach so weiterleben kann wie bisher. Was soll ich in der Schule? In dieser Schule? Irgendwas scheint mir zu fehlen, was man dort braucht. Daran wird auch ein Internat nichts ändern. Im Gegenteil. Das wird mich nur endgültig abstürzen lassen. Und wenn ich mich retten will, dann muss mir irgendwas ein fallen.
Nein, ich schaffe heute nicht einen Löffel Cornflakes. Mir zittern die Hände beim Packen meines Rucksacks, mir klopft das Herz alle neun S-Bahn-Stationen lang.
Ich geh das Risiko ein, schon am ersten Tag zu spät zu kom men. Meine schwarzen Lederstiefel weigern sich einfach, schneller zu gehen.
Trotzdem bin ich pünktlich. Pünktlicher jedenfalls als Ta bea Rosenkranz. Die 9 f hat gar nicht gemerkt, dass ich vier Wochen abwesend war. Kein Mensch wundert sich, dass ich da bin. Wieder da bin.
Ich suche Eva. Aber sie fehlt. Das ist ungewöhnlich. Eva ist niemals krank. Eva schwänzt nicht. Die Revolution? Die einzige Möglichkeit! Tom und Jannik sind in eine Zeitschrift ver tieft. Und Alex? Immer noch verschwunden. Kein vertrautes Lächeln, kein Gruß. Nicht mal die geschmacklosen Witze der Killer ... Was soll ich hier?
Um fünf nach acht weiß ich es genau. Uns erwartet ein Test in Englisch. Danach der Gang zum Berufsinformationszent rum. Im Arbeitsamt wird man uns das notwendige Grund wissen vermitteln: Die Stufen zum Erfolg! Heute dürfen wir uns in Eignungstests üben. Der richtige Tag für Zeno Zim mer mann! Da wird er endlich mal wieder beweisen können, was in ihm steckt!
Ein Fragezeichen auf der Stirn von Tabea Rosenkranz, speziell für mich. Ich überreiche ihr Dr. Kruses Urkunde für meine Tapferkeit. Sie nickt zufrieden. Zahnärzte haben eben
Weitere Kostenlose Bücher