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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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dem Leib kotzt.
    Hier bin ich wenigstens nicht allein ...
    Kaltes Wasser ins Gesicht, und ich fühl mich besser. Aber die Aidskralle, die lauert immer noch. Werd ich die je wieder los?
    Ich muss ihn finden. Ich muss ihn fragen ... nein, ich möchte ihn sehen, und ich möchte einfach seine Hand auf meiner Hand spüren. Oder mehr?
    Aber ich finde ihn nicht. Ich finde unzählige andere. Ihn finde ich nicht.
    An der nächsten Bar zieh ich mir den nächsten Rotwein rein und noch einen, bis mir ganz schwindelig im Kopf ist. Warum kommt er nicht?
    Ich muss was tun. Ich kann nicht einfach hier sitzen bleiben und mich zulaufen lassen!
    Nein! Ich kauf mir eine Dose XTC. Kippe mir das bittere Getränk rein. Keine Ahnung, was jetzt passiert. Keine Ah nung, wie dieses XTC wirkt. Sterben werde ich wahrschein lich nicht. Etwas holt mich unsanft ins Leben zurück. Halle 2. Die Techno-Halle. Dort versüßen keine sanften Pop-Töne den Hardcore. Es ist dunkel, und es ist so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten muss. Grelle Lichter zucken durch den Raum. Das Weiß blendet weißer als weiß, sonst ist alles schwarz. Irrsinnig harte Bässe zerhämmern mir den Schädel. Noch steh ich am Rand der Tanzfläche. Wie alle anderen.
    Warum tanzen sie nicht? Warum traut sich kein Mensch auf die Tanzfläche?
    Ich habe keine Ahnung, wie lange ich diese Lautstärke und diese stechenden weißen Lichtattacken aushalten kann. Ich werde das Gefühl nicht los, im nächsten Moment zusammenzubrechen, tot umzufallen. Ich muss was tun. Ich muss mich bewegen. Ich muss mich einlassen auf diese tobenden Bässe, ich muss mich fallen lassen in die hypnotische Wirkung der immer gleichen, ekstatischen Töne. Ich löse mich vom Rand. Vor mir die Tanzfläche, schwarz und leer. Sie wartet auf mich. Und ich will abdrehen. Nichts mehr sehen, nichts mehr hören, nur noch fühlen. Leichte, schwebende Gefühle, die mich wegtragen, weit, weit weg... Mein weißes T-Shirt leuchtet faszinierend in diesem Licht ... Ich lasse mich ein in den Rhythmus der Musik, fast automatisch jetzt, den Kopf ausgeschaltet, lasse ich mich nur noch treiben.
    Meine Arme vollführen bizarre Bewegungen in der Luft, meine Füße stampfen den immer gleichen Rhythmus. Ich hebe ab und fliege davon, besinnungslos fast, dann der Absturz, ein Schrei aus der Tiefe, schwarze Sterne am weißen Himmel ... Irgendjemand fängt mich auf, zieht mich weg, ich finde mich wieder, zusammengesunken in einem weißen Plas tikstuhl auf dem Kellergang. Allein.
    Hier ist es kühl, hier ist es still, hier ist es grau. Ich fühle mich seltsam schwach. In meinem Magen ein flaues Gefühl. Ich schau auf die Uhr. Viertel vor zwölf. Ob ich ihn noch erwische, den ersten Nachtexpress?
    An der Kasse jetzt eine lange Warteschlange. Um Mitternacht beginnt hier das eigentliche Leben. Aber ich glaube nicht, dass ich heute noch besonders viel verpasse. Unter tausend Schwulen habe ich mich noch einsamer gefühlt als sonst. Ob Leon jetzt erst kommt? Aber ich kann nicht länger warten. Ich muss pünktlich sein. Heute ertrag ich keinen Ärger mehr. Ich will nur noch meine Ruhe. Schlafen und vorläufig nicht wieder aufwachen. Ich bin froh, dass ich draußen bin.
    In der Dunkelheit des Parkplatzes kann ich unverkennbar hier und da Männerpaare in eindeutigen Positionen ausmachen. Ich will das alles nicht sehen ... Doch seh ich mehr, als ich sehen will. Ganz hinten, an die Mauer der Fabrikhalle gelehnt, die weißen Jeans, das karierte Hemd. Die Scheinwerfer der einparkenden Autos enthüllen ihn für einen Moment. Er ist nicht allein. Ein Mann presst sich an ihn, die rechte Hand unmissverständlich ...
    Nein! Ich will damit nichts zu tun haben. Das geht mich nichts an und berührt mich nicht. Und doch überfällt mich eine Trauer, packt mich ein Schmerz, der mich zu zerreißen droht. Wie entfliehe ich ihm? Ich versuche ihm davonzulaufen. Schneller, immer schneller laufe ich ... Erst an der Halte stelle bleibe ich stehen, verschwitzt und atemlos. Den betäu ben den Schmerz habe ich abgehängt, die Trauer unterwegs verloren. Ich atme auf.
    Dann fahr ich durch die dunkle Nacht. Er ist fast leer, dieser erste Nachtexpress. Vier junge Mädchen, eine ältere Frau. Das ist alles. Hinter den meisten Fenstern brennt noch Licht, flimmert der Fernsehapparat, vor jedem dritten Fenster ein flackernder Weihnachtsstern, eine Weihnachtspyramide oder eine bunte Lichterkette. Ja, bald ist Weihnachten. Und ich hab keine Ahnung, wo und mit wem ich dieses Fest der

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