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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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will mich gerade ablenken mit Zeitschriften, die mir die neueste Mode, die neuesten Kochrezepte, den neuesten Prominentenklatsch erzählen, da hör ich schon meinen Namen.
    Rein in die weiße Folterkammer. Am riesigen Hebelarm ein Scheinwerfer. Der Folterstuhl, bequem und angenehm. Mit Sicherheit höchst entspannend, wenn jetzt ein Krimi-Oldie mit Dr. Mabuse auf dem Programm stünde und nicht Dr. Kruse in makellosem Weiß. Alles hygienisch perfekt und gepflegt. Kein einziger Krümel auf dem glänzenden Linole um. Auch die beiden gelockten Schönen makellos weiß, wie man es von Engeln erwartet. Weiße Birkenstocks, weiße Socken, weiße Hose, weißes Sweatshirt. Gepflegt und dezent duftend.
    Je näher sich Dr. Kruse zu mir herunterbeugt, desto unerträglicher wird der Schmerz.
    «Den Mund öffnen, bitte!»
    Die spitzen Geräte klopfen, stoßen, eine Röntgenaufnahme. Ich lasse alles mit mir geschehen, schließe die Augen, grabe die Fingernägel meiner rechten Hand in den linken Unter arm.
    Dann dieser widerliche Geschmack im Mund. Beißende Chemie. Bitter und giftig... und die Spritze!
    Ich möchte sterben. Dieser Stich ins Fleisch ... Irgendwann spür ich nichts mehr, irgendwann ist alles taub, irgendwann ist da nur noch das Summen des Bohrers, das Hantieren in meinem Mund.
    Nein, er zieht den Zahn nicht. Die Reparatur lohnt sich noch. Ich will überhaupt nicht wissen, was er macht. Ich will nur hier weg.
    Nach einer Stunde endlich sagt er:
    «Das war ’ s! Zwei Stunden nichts essen!»
    Er drückt mir eine Schachtel Tabletten in die Hand.
    « Für alle Fälle!»
    « Auf Wiedersehen!»
    Ich hoffe, in diesem Leben nicht mehr!
    Ich steh auf der Straße. Die kalte Dezemberluft bringt mich ein wenig in die Wirklichkeit zurück. Es ist nichts passiert, Zeno Zimmermann. Du warst beim Zahnarzt. Das ist alles. Du hast sogar noch alle deine Zähne.
    Meine rechte Gesichtshälfte? Die existiert nicht mehr. Die hat er stillgelegt.
    In fünf Stunden wird sie sich zurückmelden.
     
    Ich kaufe ein. Schließlich hat sich jemand zum Frühstück eingeladen.
    Brötchen, Croissants, Butter, Käse, Schinken, Obst. Das muss reichen.
    Ich decke den Tisch, ausnahmsweise nicht in der Küche, sondern im Wohnzimmer.
    Heute mit Kerze!
    Zehn dumpfe Schläge von der Nicolaikirche. Es klingelt. Martin M. ist ein pünktlicher Mensch.
    Er lächelt mich an. Offen. Irgendwie herausfordernd. Er drückt mir eine Flasche in die Hand. Champagner.
    «Für den Kühlschrank!», sagt er. «Trinken wir ihn gemein sam?»
    Ich wage nicht zu sprechen.
    Ich habe sowieso den Eindruck, nie wieder sprechen zu können.
    «Weshalb isst du nichts?»
    Er hat bereits ein Croissant, ein Brötchen und ein Ei gegessen, die dritte Tasse Kaffee getrunken.
    «Ich war beim Zahnarzt!», sage ich. Und wundere mich. Meine Sprache hat Dr. Kruse mir doch gelassen.
    «Heißt das, ich muss dich heute unterhalten?»
    Mein Nicken wartet er nicht ab. Er redet gerne, erzählt ger ne, unterhält gerne andere Menschen. Und es ist angenehm, ihm zuzuhören. Seine Stimme ist dunkel und klar, dabei eher sanft als hart. Kein Akzent verrät, aus welcher Gegend er kommt.
    Er erzählt von seinen Inszenierungen, von Autoren, Schauspielern. Er redet von seinem Beruf. Nur von seinem Beruf. Hat er kein Privatleben? Er arbeitet. Und dann ? Eine Frau, ein Kind? Nein. Das sicher nicht. Aber ich frage ihn nicht.
    Jetzt ist er fertig mit seinem Frühstück. Er lehnt sich zurück. Aus einem silbernen Zigarettenetui nimmt er eine Ziga rette.
    «Darf ich?»
    Der erste Zug der Zigarette. Er genießt den Augenblick. Ein Moment des Schweigens. Und in dieses Schweigen hinein klingelt das Telefon. Ich halte die Luft an.
    «Willst du nicht abnehmen?»
    «Nein!»
    Wer kann das sein?
    Mein Vater? Um zu kontrollieren, ob ich zu Hause bin?
    Tabea Rosenkranz? Um nachzufragen, warum ich nicht in die Schule gekommen bin?
    Wer sonst?
    Alex vielleicht?
    Oder Leon? Nein, der kann es nicht sein: Der hat meine Nummer nicht.
    Es klingelt noch immer. Ich steh auf. Atme ein paar Mal tief in den Bauch. Wo ist das Risiko? Ich bin schließlich krank. Ich war beim Zahnarzt. Genau!
    Mir zittern die Hände, als ich den Hörer abnehme. Vorsichtig, so als müsste ich jeden Moment einer Faust ausweichen, die mir gleich ins Gesicht schlagen wird ... Ich halte den Hörer ans Ohr, mit dem nötigen Sicherheitsabstand. Außer dem Freizeichen höre ich nichts. Wer ist das gewesen?
    Er schaut auf seine Uhr.
    «Eine halbe Stunde noch. Dann muss

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