Tür ins Dunkel
erbebte. Er schrie aus voller Lunge, doch seine Schreie gingen in dem donnernden Getöse heranrollender Steine unter, die um ihn herum herabregneten. Sie schlugen mit solcher Wucht auf, daß kleinere Stücke absplitterten und ihm neue Verletzungen zufügten. Aber wider Erwarten wurde er nicht zu Tode gesteinigt, wurde nicht zermalmt von den großen Felsbrocken, die sich ringsum türmten, Dann trat schlagartig Stille ein. Die Steine waren'zur Ruhe gekommen. Tolbeck wartete in atemlosem Schrecken. Allmählich nahm er die Kälte wieder wahr. Und den Wind. Er tastete um sich und mußte feststellen, daß die Fels-brocken ihn von allen Seiten einschlössen und eine Art Steingruft bildeten. Sie waren viel zu schwer, als daß er sie hätte wegwälzen können. Gewiß, diese Steingruft hatte viele Spalten und Löcher, durch die sogar Mondlicht einfiel. Auch der Wind pfiff und heulte durch die Ritzen und Spalten, aber keines der Löcher war so groß, daß Tolbeck sich durchzwängen konnte. Obwohl er genügend Luft zum Atmen hatte, war er doch lebendig begraben. Einen Augenblick lang geriet er in Panik, doch dann dachte er an das grauenvolle Ende seiner Freunde, und verglichen damit würde ihm ein gnädiger Tod beschieden sein. Die schneidende Kälte würde er bald nicht mehr spüren. In wenigen Minuten würde sich das Taubheitsgefühl wieder einstellen, und diesmal würde es anhalten. Er würde müde werden, einschlafen und nie mehr aufwachen. Das war gar nicht so schlimm. Bei weitem nicht so schlimm wie das, was mit Ernie Cooper und den anderen geschehen war. Er entspannte sich und fand sich damit ab, daß er sterben würde. Nun, da er wußte, daß sein Tod nicht allzu schmerzhaft sein würde, konnte er seine Angst bewältigen. Nur der Wind durchbrach die Stille der Winternacht. Tolbeck saß in sich zusammengesunken in seiner Gruft und schloß müde die Augen. Etwas packte ihn an der Nase und drehte sie mit solcher Kraft, daß ihm Tränen aus den Augen schössen. Er zwinkerte und schlug nach dem unsichtbaren Angreifer, traf aber nur auf Luft. Etwas riß an seinem Ohr. »Nein!« rief er flehend.
Etwas stieß ihn ins rechte Auge, und der rasende Schmerz verriet ihm, daß er geblendet worden war.
Der Geist war in die behelfsmäßige Gruft aus kalten Steinen eingedrungen. Tolbeck würde doch keinen leichten Tod haben.
Laura erwachte in der Nacht und wußte im ersten Moment nicht, wo sie war. Eine Lampe spendete schwaches bernsteinfarbenes Licht. Sie sah ein zweites Bett. Dan Haldane schlief darauf. Das Motel! Sie versteckten sich in einem Motelzimmer! Schlaftrunken und nur mit Mühe die Augen offenhaltend, drehte sie sich auf die andere Seite und betrachtete Melanie. Sie begriff plötzlich, wovon sie aufgewacht war. Die Temperatur fiel, und Melanie zuckte unter der Decke und wimmerte lei5e vor sich hin. Etwas hielt sich im Zimmer auf, etwas Nicht-Menschliches, Fremdartiges. Es war unsichtbar, aber es war präsent. In ihrem halbwachen Zustand fühlte sie die Gegenwart dieses Wesens intensiver als bei seinen früheren Besuchen. Schlaftrunken, wie sie war, wurde sie noch weitgehend von ihrem Unterbewußtsein geleitet, das für derartige fantastische Phänomene wesentlich empfänglicher war als das normale Bewußtsein, das etwas von einem skeptischen, ungläubigen Thomas an sich hatte. Obwohl sie noch immer nicht wußte, was >Es< war, fühlte sie doch deutlich, daß es hier im Zimmer war und Melanie umschwebte.
Laura war plötzlich überzeugt davon, daß ihre Tochter im nächsten Moment vor ihren Augen zu Tode geprügelt werden würde. Sie wollte in alptraumhafter Panik aus dem Bett springen, aber kaum daß sie die Decke abgeworfen hatte, wurde die Luft wieder warm, und ihre Tochter beruhigte sich. Laura zögerte, beobachtete das Kind, schaute sich im Zimmer um, aber die Gefahr - falls sie bestanden hatte -schien vorüber zu sein. Wohin war jene fremdartige böse Macht entschwunden? Wozu war dieser Geist hierhergekommen und hatte sich in Sekundenschnelle wieder entfernt?
346 Laura schlüpfte wieder unter die Decke und betrachtete Melanie. Das Mädchen war erschreckend bleich und wirkte unglaublich zerbrechlich. Ich werde sie verlieren, dachte Laura. Nein! >Es< wird sie früher oder später holen kommen, >Es< wird sie töten wie all die anderen, und ich werde sie nicht retten können, weil ich nicht einmal weiß, woher >Es< kommt, warum >Es< sie töten will, was >Es< überhaupt ist. Verzweiflung drohte sie zu überwältigen. Doch
Weitere Kostenlose Bücher