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Tür ins Dunkel

Tür ins Dunkel

Titel: Tür ins Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Nichts.«
    »Sie wollen, daß du an nichts denkst? Ist es das?«
    »Und sie wollen, daß ich nichts fühle.«
    Laura schaute Dan Haldane an, Er saß mit gerunzelter Stirn da und schien genauso perplex zu sein wie sie selbst.
    »Was siehst du sonst noch m dem grauen Zimmer?« fragte sie Melanie.
    »Den Tank.«
    »Zwingen sie dich, in den Tank zu steigen?«
    »Nackt!« Aus diesem einen Wort war alles herauszuhören: Scham und Angst, aber auch äußerste Hilflosigkeit und Verletzlichkeit. Zutiefst erschüttert, hätte Laura die Sitzung am liebsten abgebrochen und ihre Tochter zärtlich in die Arme geschlossen, gestreichelt und getröstet. Aber wenn sie irgendeine Aussicht haben wollten, Melanie zu retten, mußten sie wissen, was das Kind durchgemacht hatte und zu welchem Zweck, und dies war die beste Methode, es rasch zu erfahren.
    »Liebling, ich möchte, daß du die grauen Stufen hinaufgehst und in den Tank steigst.«
    Das Mädchen wimmerte und schüttelte heftig den Kopf, aber seine Augen blieben geschlossen, und es verharrte in der Trance, in die Laura es versetzt hatte.
    »Geh die Stufen hinauf, Melanie.«
    »Nein.«
    »Du mußt tun, was ich dir sage.«
    »Nein.«
    »Geh die Stufen hinauf.«
    »Bitte...« Melanie war erschreckend bleich. Schweißperlen traten  ihr auf die Stirn. Die Ringe um ihre Augen schienen größer und noch dunkler zu werden, und es zerriß Laura fast das Herz, ihre Tochter zwingen zu müssen, alle Qualen noch einmal zu durchleben. Aber es war notwendig. »Geh die Stufen hinauf, Melanie!« Das Gesicht des Mädchens verzerrte sich in tiefer Pein.
    Laura hörte, daß Dan Haldane nervös auf der Bettkante hin und her rutschte, aber sie schaute nicht zu ihm hinüber. Sie konnte ihren Blick jetzt nicht von Melanie wenden. »Öffne die Einstiegsluke des Tanks, Melanie.«
    »Ich... habe... Angst.«
    »Du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst diesmal nicht allein sein. Ich werde bei dir sein. Ich werde nicht zulassen, daß etwas Schlimmes passiert.«
    »Ich habe Angst«, wiederholte Melanie, und Laura glaubte aus diesen drei Worten eine Anklage herauszuhören: Du konntest mich früher nicht beschützen, Mutter, weshalb sollte ich also glauben, daß du es jetzt kannst? »Öffne die Luke, Melanie.«
    »Er ist dort drin«, sagte das Mädchen mit zitternder Stimme. »Wer oder was ist dort drin?«
    »Der Weg hinaus.«
    »Aus was hinaus?«
    »Aus allem.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Der Weg... hinaus... aus mir.«
    »Was bedeutet das?«
    »Der Weg hinaus aus mir«, wiederholte das Kind verstört. Laura entschied, daß sie noch viel zu wenig wußte, um den Sinn dieser Aussage verstehen zu können. Wenn sie in dieser Richtung weiterfragte, würden die Antworten des Kindes ihn nur zunehmend surrealistisch vorkommen. Sie mußte Melanie zuerst dazu bringen, in den Tank zu steigen, w,enn sie erfahren wollte, was dort drin voreine. »Die Luke ist vor dir, Liebling. Siehst du sie?« Das Mädchen schwieg.
    »Siehst du sie?«
    Widerwillig: »Ja.«
    »Öffne die Luke, Melanie. Du darfst nicht zögern. Öffne sie jetzt!« Unter Protestlauten, die Angst und Jammer und Ekel verrieten, hob Melanie ihre Hände und griff nach einer Tür, die für sie in ihrem Trancezustand ganz real war, die aber weder Laura noch Dan sehen konnten. Sie zog daran, und dann begann sie am ganzen Leibe zu zittern. »Ich... ich habe... sie... geöffnet.«
    »Ist dies die Tür, Melanie?«
    »Es ist die Luke. Der Tank.«
    »Aber ist dies auch die Tür zum Dezember?«
    »Nein.«
    »Was ist die Tür zum Dezember?«
    »Der Weg hinaus.«
    »Aus was hinaus?«
    »Aus... aus... aus dem Tank.« Wieder mußte Laura sich eingestehen, daß sie mit ihrem Latein am Ende war. »Vergiß das für den Augenblick. Ich will, daß du jetzt in den Tank steigst.« Melanie begann zu weinen. »Steig hinein!«
    »Ich... ich habe Angst.«
    »Du brauchst keine Angst zu haben.«
    »Ich könnte...«
    »Was?«
    »Wenn ich hineinsteige... könnte ich...«
    »Was könntest du?«
    »Etwas tun«, sagte das Mädchen düster. »Was könntest du tun?«
    »Etwas...«
    »Sag es mir.«
    »Etwas... Schreckliches«, flüsterte Melanie so leise, daß es kaum zu hören war. Laura glaubte, sie falsch verstanden zu haben. »Du meinst, daß dir etwas Schreckliches widerfahren wird?« Noch leiser; »Nein... Ja.«
    »Ja oder nein?« Nur noch gehaucht: »Nein... ja...«
    »Liebling?« Schweigen. Im Gesicht des Kindes stand jetzt nicht nur Angst geschrieben, sondern etwas wie Verzweiflung.

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