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Tür ins Dunkel

Tür ins Dunkel

Titel: Tür ins Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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fünf Wochen vor dem Zeitpunkt, als Dan sie endlich ausfindig gemacht hatte, und sie lag bereits einen Monat in der Erde, als Dan sie besuchen wollte. Für ein Treffen mit seinem Bruder war er zwölf Jahre zu spät gekommen, und das war traurig genug gewesen, aber doch lange nicht so schmerzhaft und tragisch wie die Tatsache, daß er seine Schwester kennengelernt hätte, wenn er nur wenige Wochen früher gekommen wäre.
    Er sagte sich immer wieder, daß sie ein wildfremder Mensch für ihn gewesen wäre, daß sie wenig oder gar nichts Gemeinsames gehabt hätten. Vielleicht hätte sie sich nicht einmal gefreut, ihn zu sehen, vielleicht hätte sie sich geschämt, daß er ein Polizist war und sie nur ein Callgirl. Und er hätte es vielleicht tief bedauert, diese Frau kennengelernt zu haben, die seine leibliche Schwester war. Möglicherweise hätte es sich als schwierig und unerfreulich erwiesen, mit ihr näheren Kontakt zu haben. Aber er war erst zweiundzwanzig gewesen, ein Neuling bei der Polizei, als er das Grab seiner Schwester fand; mit zweiundzwanzig hatte er viel emotionaler reagiert als jetzt. Er hatte um sie geweint. Verdammt, selbst jetzt noch, nach 15 Jahren Polizeidienst - und in diesen 15 Jahren hatte er eine Menge erschossener, erstochener, erwürgter und erschlagener Menschen gesehen und sich zwangsläufig ein dickeres Fell zugelegt -, weinte er manchmal um sie und um seinen verlorenen Bruder, wenn ihn in schlaflosen Nächten der Gedanke quälte, was hätte sein können und unwiederbringlich dahin war. Er fühlte sich mitschuldig an Carries Tod. Er hätte sich intensiver bemühen müssen, ihr auf die Spur zu kommen.
    Wenn er sie früher gefunden hätte, hätte er sie vielleicht noch retten können. Sein Verstand sagte ihm, daß diese Selbstvorwürfe unsinnig waren, daß er Carrie bestimmt nicht hätte überreden können, ihr Leben als Callgirl aufzugeben. Er hätte jene verhängnisvolle Verabredung nicht verhindern können. Seine Schuldgefühle waren nur ein weiteres Beispiel für seinen Atlas-Komplex, für seine Neigung, die Last der ganzen Welt auf seine Schultern zu nehmen. Er konnte sich selbst recht gut analysieren, und er konnte sogar über sich lachen doch das vermochte nichts daran zu ändern, daß er sich für alles und für jeden verantwortlich fühlte. Deshalb schweiften seine Gedanken, wenn er keinen Schlaf finden konnte, so oft zu Delmar, Carrie und Cindy Lakey. Er lag im Dunkeln wach und grübelte über die Fähigkeit des Menschen zum Mord, über die Tatsache, daß er oft nicht in der Lage war, die Lebenden zu retten; und früher oder später quälte ihn unweigerlich auch noch die Idee, seine Mutter auf dem Gewissen zu haben, da sie ja an den Folgen seiner komplizierten Geburt gestorben war. Verrückt! Aber es raubte ihm nun einmal fast den Verstand, daß es Tod und Mord auf der Welt gab, und er vermutete, daß er sich nie damit abfinden würde, weil er auf dem Glauben beharrte, daß der Mensch im Prinzip gut sei - oder zumindest den Keim zum Guten in sich trage. Delmar, Carrie, Cindy Lakey... Von ihnen führte ihn der Weg immer weiter, an den Rand eines Abgrunds au's Schuldgefühlen und Verzweiflung, und manchmal -nicht oft, aber hin und wieder - stand er in solchen schlaflosen Nächten auf, schaltete alle Lampen ein und betrank sich bis zur Bewußtlosigkeit. Delmar, Carrie, Cindy Lakey... Wenn es ihm nicht gelang, die McCaffreys zu retten, würden ihre Namen die Liste verlängern, und er würde sich mit zwei weiteren quälenden Erinnerungen herumschlagen müssen. Delmar, Carrie, Cindy Lakey, Melanle und Laura.
    Er würde sich das nie verzeihen, sich nie damit abfinden können. Er wußte, daß er nur ein einzelner Polizist war, ein Mensch wie jeder andere, weder Atlas noch ein Ritter in glänzender Rüstung. Aber tief im Innern wollte ein Teil von ihm doch dieser Ritter sein, und dieser Teil seines Wesens - der Träumer, der edle Narr -machte für ihn das Leben lebenswert. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er weiterleben sollte, wenn dieser Teil von ihm zu existieren aufhörte. Und deshalb mußte er Laura und Melanie beschützen, so als gehörten sie zu ihm. Er hatte sie ins Herz geschlossen, und wenn er zuließ, daß sie starben, wäre auch er selbst tot - zumindest emotional und psychisch tot.
    Delmar, Carrie, Cindy Lakey... Seine Gedanken drehten sich im Kreise, und schließlich lullten ihn Lauras und Melanies gleichmäßige Atemzüge in den Schlaf, wie das leise Rauschen von

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