Tür ins Dunkel
Blutprobe des Mädchens. Es dauert nur eine Minute, das auch bei Ihnen zu erledigen.«
»Okay. Aber... wo?«
»Neben dem Schwesternzimmer ist ein Untersuchungsraum.«
Laura betrachtete ängstlich die geschlossene Tür von Melanies Zimmer. »Könnten wir warten, bis der Polizist hier ist, der Wache halten soll?«
»Selbstverständlich.« Er lehnte sich an die Wand. Laura starrte weiterhin die Tür an. Das Schweigen wurde allmählich unerträglich. Um es zu durchbrechen, sagte Laura schließlich: »Ich hatte recht, nicht wahr?«
»In welcher Hinsicht?«
»Ich sagte vorhin, vielleicht würde es nicht das Ende des Alptraums sein, wenn wir Melanie fänden, sondern erst der Anfang.«
»Ja«, stimmte er zu. »Sie hatten recht. Aber immerhin ist es ein Anfang.«
Sie begriff, was er meinte« Sie hätten auch Melanies Lei che finden können, zu Tode geprügelt wie die drei Männer. Dies hier war besser. Beängstigend, verwirrend, deprimierend - aber entschieden besser.
7
Dan Haldane saß an dem Schreibtisch, der ihm für die Dauer seiner Vertretung bei der East Valley Division zu Verfügung gestellt worden war. Die alte Holzplatte wies zahlreiche Brandlöcher von Zigaretten auf, war verkratzt und mit dunklen Ringen von tropfenden Kaffeebechern verunziert. Doch das störte Dan nicht. Er liebte seine Arbeit, und er konnte, wenn nötig, sogar in einem Zelt arbeiten.
Kurz vor Tagesanbruch ging es in der East Valley Division so ruhig zu wie in jeder anderen Polizeidienststelle. Die meisten potentiellen Opfer waren noch nicht aufgewacht, und sogar die Verbrecher mußten irgendwann schlafen. Einige wenige Männer ve rsahen den Bereitschaftsdienst; nicht mehr lange, und sie würden von den Beamten der Frühschicht abgelöst werden. Noch herrschte aber jene etwas gespenstische Atmosphäre, die allen Büroräumen bei Nacht eigen ist. Nur das Klappern einer einsamen Schreibmaschine aus einem Zimmer am anderen Ende des Flures war zu hören; und gelegentlich schlug der Besen des Hausmeisters gegen die Beine der leeren Schreibtische. Irgendwo klingelte ein Telefon; sogar in der Stunde vor Tagesanbruch hatte jemand Probleme. Dan öffnete den Reißverschluß seiner abgeschabten Aktentasche und breitete den Inhalt auf dem Schreibtisch ins: Polaroidfotos von den drei Leichen, eine zufällig« Auswahl der Papiere, die auf dem Fußboden in McCaffreys Arbeitszimmer verstreut gewesen waren. Aussagen der Nachbarn, vorläufige, von Hand geschriebene Berichte des Gerichtsmediziners und der Leute von der Spurensicherung -und Listen. Dan glaubte an Listen. Er hatte Listen vom Inhalt aller Schränke und Schubladen im Mordhaus, eine Liste mit den Titeln der Bücher auf den Wohnzimmerregalen, eine Liste von Telefonnummern, die auf einem Schreibblock neben dem Telefon in McCaffreys Arbeitszimmer notiert gewesen waren. Er hatte auch eine Namensliste - jeder Name, den er auf irgendeinem Zettel am Tatort gefunden hatte, war aufgeführt. Bis zur Aufklärung des Falles würde er diese Listen mit sich herumtragen, sie in jeder freien Minute hervorholen und studieren - beim Mittagessen, auf der Toilette, im Bett, bevor er die Nachttischlampe ausschaltete; indem er auf diese Weise sein Unterbewußtsein immer wieder anstachelte, hoffte er, zu wichtigen Einsichten zu gelangen oder auf bedeutsame Zusammenhänge zu stoßen. Stanley Holbein, ein alter Freund und Kollege von der Abteilung Raubmord, hatte einmal bei einer Weihnachtsfeier des Dezernats zum besten gegeben, er hätte einige von Dans höchst privaten Listen gesehen, darunter jene, auf denen jede Mahlzeit und jede Darmtätigkeit seit seinem neunten Lebensjahr aufgeführt gewesen wäre. Dan hatte amüsiert, aber doch mit rotem Kopf zugehört, die Hände in den Hosentaschen; und schließlich hatte er so getan, als wollte er Stanley an die Gurgel springen. Doch als er zu diesem Zweck die Hände aus den Taschen genommen hatte, war versehentlich ein gutes halbes Dutzend Listen zu Boden geflattert, was verständlicherweise nicht endenwollende Lachsalven ausgelöst hatte. Am Schreibtisch sitzend, überflog er jetzt seine neueste Kollektion von Listen, in der vagen Hoffnung, daß ihm etwas sofort ins Auge springen würde. Als das nicht der Fall war, begann er die Listen langsam und endlich durchzulesen. Keiner der Buchtitel sagte ihm etwas. Es war eine eigenartige Mischung aus Psychologie, Medizin, Naturwissenschaften und Okkultismus. Weshalb sollte sich ein Wissenschaftler für Hellseherei, psychische
Weitere Kostenlose Bücher