Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
Männern gelten ebenfalls als unpassend für einen Moscheebesuch. Gläubige Muslime waschen sich darüber hinaus, bevor sie beten. In jedem Moscheeinnenhof gibt es einen großen Brunnen, wo die Gläubigen sich nicht nur die Hände und das Gesicht, sondern auch die Füße waschen. Körperliche Reinlichkeit ist ein Gebot des Islam.
Im Unterschied zu Deutschland wird in der Türkei in normalen Cafés auch kein Alkohol ausgeschenkt. In den »Lokantas«, den kleinen Lokalen, in denen zur Mittagszeit verschiedene Mahlzeiten angeboten werden, oder den Teestuben, in denen man sich zu einem kleinen Schwatz trifft, muss man auf Bier oder Wein verzichten. Alkohol gehört dagegen zu allen Restaurants. Wer abends in ein Restaurant geht, trinkt in der Regel Raki oder Bier zum Essen. Es gibt natürlich auch Wein, aber der ist vergleichsweise teuer. Der Weinanbau ist in der Türkei traditionell eine Domäne der griechischen Minderheit gewesen und lag nach deren Vertreibung in den 20 er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst weitgehend brach. Zwar haben mittlerweile längst türkische Weinbauern Fuß gefasst, doch die Weinindustrie leidet darunter, dass ihre Produkte besonders hoch besteuert werden, weswegen sich der Weinkonsum immer noch in engen Grenzen hält. Obwohl einige eifrige Bürgermeister der islamischen AKP versucht haben, Alkohol in ihren Städten in bestimmten Bereichen zu verbieten, sind sie damit bis auf wenige Städtchen in Ost- und Zentralanatolien bislang nicht weit gekommen. Proteste in den Medien, in der Bevölkerung und einschlägige Gerichtsentscheidungen haben das verhindert. Allerdings hat die AKP in den meisten Städten, in denen sie den Bürgermeister stellt, durchgesetzt, dass in Ausflugslokalen, die der Stadt gehören, kein Alkohol mehr angeboten wird.
Diese Feinheiten in der Auseinandersetzung zwischen dem islamischen und säkularen Teil der Gesellschaft bekommt man in der Regel allerdings erst nach einem etwas längeren Aufenthalt mit. Was aufmerksame Besucher in Istanbul oder anderen Großstädten jedoch bald bemerken können, ist die Segregation von Säkularen und Frommen in unterschiedlichen Stadtteilen. Es gibt in Istanbul ganz offensichtliche Unterschiede zwischen Stadtteilen ohne Kopftuch und Stadtteilen mit Kopftuch. Eine Hochburg der Frommen ist der Stadtteil Fatih auf der historischen Halbinsel. Wer als Tourist hier durchschlendert, wird schnell merken, dass er sich in einer anderen Welt bewegt. Viele Frauen sind hier in den schwarzen Sarsaf eingehüllt, der kaum mehr als die Nase und die Augen hervorschauen lässt. Wollte man einer Frau die Hand schütteln, würde man angeschaut wie ein potenzieller Vergewaltiger. Strenggläubige Muslime schütteln niemals einem Vertreter des anderen Geschlechts die Hand, das gilt als unsittlich.
Wirklich auffällig im Alltag wird der Islam für ausländische Besucher nur während des heiligen Monats Ramadan. Der Ramadan ist der Fastenmonat, der mit dem Zuckerfest endet. Da sich die islamischen Festtage nach dem Mondkalender richten, wandert der Ramadan durch das Jahr. Während des Ramadans merkt man am deutlichsten, dass der Einfluss des Islam in der Türkei in den letzten 20 Jahren erheblich zugenommen hat. Vor zwei Jahrzehnten hat in der Türkei kaum jemand gefastet – in der Öffentlichkeit war vom Ramadan wenig zu bemerken. Das hat sich im Laufe der Zeit immer stärker verändert. Heute ist der Fastenmonat fast eine Jahreszeit für sich. Die meisten Lokale schließen tagsüber und öffnen erst zum sogenannten Fastenbrechen, bei Sonnenuntergang. Der gesamte Tag ist auf diesen Moment fokussiert, wenn der Imam, in der Regel über das Fernsehen, verkündet, dass nun wieder gegessen werden kann. Das Fastenbrechen, das sogenannte »Iftar«, ist mittlerweile auch ein gesellschaftliches Ereignis. Es gibt politische Iftar-Essen, und wenn Ministerpräsident Erdogan einem Staatsgast eine besondere Ehrung zuteil lassen werden will, lädt er ihn zu einem Iftar-Essen ein. Sowohl Ex-Kanzler Gerhard Schröder als auch Angela Merkel waren bereits dazu eingeladen.
Für die weniger Begüterten, die sich kein Iftar-Essen im Restaurant leisten können, lassen mittlerweile alle Istanbuler Bezirksbürgermeister im Ramadan an zentralen Plätzen große Zelte aufbauen, in denen Iftar-Mahlzeiten kostenlos verteilt werden. Der Andrang bei diesen Essensausgaben ist überall enorm. Schon Stunden vor Sonnenuntergang bilden sich Schlangen von Bedürftigen, die auf keinen Fall
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