Türkisches Gambit
sie wohl den Erfolg der Affäre bei Lowetsch gefeiert«, mutmaßte Petja. »Und einer muß so viel gefeiert haben, daß er die Hosenträger verlor.«
Er zog den Vorhang beiseite, und Warja blickte hinein.
Der Klub war schmuddelig, aber gemütlich: Holztische, mit Leinwand bespannte Stühle, eine Theke mit einer Batterie von Flaschen. Es roch nach Tabakrauch, Kerzenwachs und Herrenparfüm. Auf einem einzeln stehenden langen Tisch lagen Stöße von ausländischen Zeitungen. Sie waren ungewöhnlich – aus Morsestreifen zusammengeklebt. Warja sah die »Daily Post« und staunte: die heutige Morgenausgabe. Wahrscheinlich von der Redaktion hertelegraphiert. Toll!
Mit besonderer Genugtuung vermerkte Warja, daß außer ihr nur noch zwei Frauen da waren, beide mit Kneifer und jenseits der ersten Jugendfrische. Dafür gab es viele Männer, darunter auch Bekannte.
Da war vor allem Fandorin, wieder mit Buch. Blöd, so was, lesen konnte er doch in seinem Zelt.
In der gegenüberliegenden Ecke war eine Simultanschachpartie im Gange. Auf der einen Seite des Tischs ging, eine Zigarre schmauchend, herablassend und wohlmeinend MacLaughlin auf und ab, auf der anderen Seite saßen konzentriert Sobolew, d’Hévrais und noch zwei andere.
»Ach, unser kleiner Bulgare!« rief General Sobolew und stand erleichtert vom Brett auf. »Sie sind ja nicht wiederzuerkennen! James, sagen wir Remis.«
D’Hévrais lächelte den Neuankömmlingen freundlich zu und verweilte (was angenehm war) mit dem Blick auf Warja, setzte aber das Spiel fort. Dafür eilte ein etwas dunkelhäutiger Offizier in einer niegesehen prachtvollen Montur zu Sobolew, berührte den übermäßig gewichsten Schnauzbart und rief auf französisch:
»General, ich flehe Sie an, stellen Sie mich Ihrer zauberhaften Bekannten vor! Meine Herren, die Kerzen aus! Sie werden nicht mehr gebraucht – die Sonne ist aufgegangen!«
Die beiden betagten Damen blickten äußerst mißbilligend auf Warja, und sie selbst war leicht benommen von diesem Ansturm.
»Das ist Oberst Lucan, der persönliche Vertreter unseres wertvollen Verbündeten, seiner Hoheit Fürst Karl von Rumänien«, sagte Sobolew auflachend. »Ich warne Sie, Warwara Andrejewna, der Oberst wirkt auf Damenherzen tödlicher als der giftige Baum Antschar.«
Seinem Ton entnahm Warja, daß sie den Rumänen nicht zu begrüßen brauchte. Sie nahm Petjas Arm und antwortete steif: »Sehr erfreut. Mein Bräutigam, der Einjährigfreiwillige Pjotr Jablokow.«
Lucan ergriff mit zwei Fingern galant Warjas Handgelenk (ein Ring mit einem gewichtigen Brillianten schoß einen Blitz) und wollte einen Handkuß anbringen, erhielt aber eine gehörige Abfuhr: »In Petersburg küßt man fortschrittlichen Frauen nicht die Hand.«
Ansonsten war das Publikum interessant, und es gefiel Warja in dem Presseklub. Ärgerlich war nur, daß d’Hévrais sein dämliches Schachspiel fortsetzte. Aber ein Ende war absehbar – alle übrigen Gegner MacLaughlins hatten kapituliert, und der Franzose lag in den letzten Zügen. Das schien ihn indes nicht zu betrüben, er blickte oft zu Warja herüber,lächelte unbekümmert und pfiff melodisch ein modernes Chanson.
Sobolew blickte auf das Brett, griff zerstreut den Refrain auf: »Folichon-folichonner … Nun ergeben Sie sich, d’Hévrais, das ist ja ein richtiges Waterloo.«
»Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht.« Der Franzose zupfte an seinem Spitzbärtchen und machte einen Zug. Der Ire krauste die Stirn und schnaufte.
Warja verließ das Zelt, genoß den Sonnenaufgang und die kühle Luft, und als sie wieder hineinging, war das Schachbrett weggeräumt, und das Gespräch drehte sich um nicht mehr und nicht weniger als die Beziehungen zwischen Mensch und Gott.
»Hier kann es keine wechselseitige Achtung geben«, eiferte MacLaughlin, wohl als Antwort auf eine Bemerkung von d’Hévrais. »Die Beziehungen des Menschen zum Allerhöchsten gründen auf der Anerkenntnis der Ungleichheit. Es kommt doch auch einem Kind nicht in den Sinn, Gleichheit mit den Eltern einzufordern! Widerspruchslos anerkennt es die Überlegenheit seines Vaters, seine Abhängigkeit von ihm, empfindet Ehrfurcht für ihn und gehorcht ihm daher – zu seinem Wohl.«
»Ich erlaube mir, Ihre Metapher aufzugreifen«, sagte der Franzose lächelnd und nahm einen Zug aus seinem Tschibuk. »All das gilt nur für kleine Kinder. Wenn das Kind jedoch heranwächst, zieht es unweigerlich die Autorität des Vaters in Zweifel, obwohl der immer noch
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