Türkisches Gambit
und sich dort mit mindestens einer Division zu verschanzen. Nikolai.‹«
Fandorin erbleichte.
»Nikopol?« fragte er noch leiser. »Und was ist mit Plewna?«
Der Hauptmann zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung.«
Vor dem Eingang ertönten Schritte und Waffenklirren. Der Vorhang wurde aufgerissen, und herein sah Oberstleutnant Kasansaki. Hinter ihm blinkten die Bajonnette einer Begleitmannschaft. Der Gendarm ließ den Blick für einen Moment auf Fandorin ruhen, guckte durch Warja hindurch und lächelte freudig Petja zu.
»Ah, da sind Sie ja, mein Lieber! Hab ich’s mir doch gedacht. Einjährigfreiwilliger Jablokow, Sie sind verhaftet. Festnehmen!« befahl er den Begleitsoldaten. Zwei Blauuniformiertekamen eilig herein und faßten den von Entsetzen gelähmten Petja bei den Ellbogen.
»Sind Sie denn wahnsinnig!« schrie Warja. »Lassen Sie ihn sofort los!«
Kasansaki würdigte sie keiner Antwort. Er schnippte mit den Fingern, und der Verhaftete wurde schnell nach draußen gezerrt. Der Oberstleutnant blieb und blickte mit ungewissem Lächeln in die Runde.
»Erast Petrowitsch, was soll denn das!« rief Warja schrill. »Sagen Sie was!«
»Begründung?« fragte Fandorin mürrisch und sah dem Gendarmen auf den Kragen.
»In Jablokows Chiffrierung ist ein Wort ausgewechselt. Plewna wurde durch Nikopol ersetzt, das ist alles. Derweil hat Osman Paschas Avantgarde vor drei Stunden Plewna eingenommen und bedroht nun unsere Flanke. So ist das, Herr Beobachter.«
»Da ist es, Ihr Wunder, das die Türkei retten kann, MacLaughlin«, hörte Warja d’Hévrais sagen – in recht reinem Russisch, doch mit hübschem Kehlkopf-R.
»Kein Wunder, Herr Korrespondent, sondern gewöhnlicher Verrat«, antwortete der Oberstleutnant auflachend, blickte aber dabei Fandorin an. »Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Freiwilliger, wie Sie das Seiner Hohen Exzellenz erklären wollen.«
»Sie sch-schwatzen zuviel, Oberstleutnant.« Fandorins Blick glitt abwärts zum obersten Knopf der Gendarmenmontur. »Ehrgeiz darf der Sache nicht schaden.«
»Wie meinen?« Kasansakis dunkles Gesicht zuckte. »Sie wollen mir Vorhaltungen machen? Ein starkes Stück! Ich habe über Sie, Herr Wunderkind, ein paar Auskünfte eingeholt. Dienstlich. Da ergibt sich kein schönes Bild. Sie sindgeschäftstüchtig über Ihre Jahre hinaus. Geruhten Sie nicht, vorteilhaft zu ehelichen? Und mit doppeltem Vorteil – fette Mitgift eingesackt und die Freiheit behalten. Gratu…«
Er konnte nicht weitersprechen, denn Fandorin hatte ihm geschickt, wie ein Kater mit der Pfote, die Hand über die dicken Lippen gewischt. Warja ächzte auf, einer der Offiziere packte Fandorins Hand, ließ sie jedoch gleich wieder los, denn dieser zeigte keinerlei Tobsucht.
»Wir schießen uns«, sagte Fandorin mit Alltagsstimme und sah dem Oberstleutnant diesmal direkt in die Augen. »Von mir aus jetzt gleich, ehe sich die Führung einmischt.«
Kasansaki war puterrot. Die pflaumenschwarzen Augen waren blutunterlaufen. Nach einer Pause schluckte er und sagte: »Mit Befehl Seiner kaiserlichen Hoheit sind Duelle während des Krieges strengstens verboten. Und Sie, Fandorin, wissen das genau.«
Der Oberstleutnant ging hinaus, der Türvorhang wippte. Warja fragte: »Erast Petrowitsch, was ist zu tun?«
FÜNFTES KAPITEL,
in welchem beschrieben wird,
wie ein Harem funktioniert
»Revue Parisienne« (Paris)
vom 18. (6.) Juli 1877
von Charles d’Hévrais
DIE ALTEN STIEFEL
Skizze von der Front
»Das Oberleder ist rissig und mittlerweile weicher als ein Pferdemaul. In vornehmer Gesellschaft kann man sich in solchen Stiefeln nicht zeigen. Das tue ich auch nicht, die Stiefel sind für anderes bestimmt.
Genäht hat sie mir ein alter Jude aus Sofia vor zehn Jahren. Er knöpfte mir zehn Lire ab und sagte: ›Mein Herr, wenn längst Kletten aus mir wachsen, wirst du diese Stiefel noch immer tragen und mit einem freundlichen Wort Isaaks gedenken.‹
Noch war kein Jahr vergangen, da ging bei Ausgrabungen einer assyrischen Stadt im Zweistromland der linke Absatz ab. Ich mußte allein ins Lager zurückkehren. Durch den glühendheißen Sand humpelnd, schmähte ich den alten Sofioter Spitzbuben mit den schlimmsten Ausdrücken und schwor, die Stiefel zu verbrennen.
Meine Kollegen, britische Archäologen, hatten mit den Ausgrabungen noch gar nicht richtig angefangen, da wurden sie überfallen von Reitern des Rifat Bek, der die Giaurs für Kinder des Schaitans hält, und bis auf den letzten Mann
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