Türkisches Gambit
niedergemetzelt. Ich verbrannte die Stiefel nicht, sondern ließ den Absatz erneuern und silberne Schuheisen drunter nageln.
Im Mai 1873 war ich auf dem Weg nach Chiwa, da wollte meinFremdenführer sich meine Uhr, mein Gewehr und meinen achaltekinischen Rappen Jatagan zu eigen machen. In der Nacht, als ich im Zelt schlief, warf er in meinen linken Stiefel eine Sandrasselotter, deren Biß tödlich ist. Aber der Stiefel hatte ein Loch, und die Schlange kroch hinaus in die Wüste. Am Morgen hat Assaf mir das selber erzählt, weil er in dem Vorfall ein Zeichen Allahs wähnte.
Ein halbes Jahr später lief der Dampfer ›Adrianopel‹ im Thermäischen Meerbusen auf ein Riff. Ich mußte zweieinhalb Lieues zum Ufer schwimmen. Die Stiefel zogen mich hinunter, aber ich warf sie nicht ab. Ich wußte, das wäre der Kapitulation gleichgekommen, und dann hätte ich es nicht geschafft. Ich erreichte das Ufer als einziger, die anderen waren alle ertrunken.
Jetzt bin ich da, wo getötet wird. Täglich schwebt der Tod über uns. Aber ich bin ruhig. Ich ziehe meine Stiefel an, deren Schwarz sich in den zehn Jahren rötlich verfärbt hat, und fühle mich im Kugelhagel wie in Ballschuhen auf spiegelblankem Parkett.
Und nie erlaube ich meinem Pferd, eine Klettenpflanze zu zertreten – am Ende wächst sie aus dem alten Isaak?«
Warja arbeitete seit drei Tagen mit Fandorin zusammen. Sie wollten Petja herausholen, aber dorthin führte nach Meinung des Titularrats nur ein Weg: Sie mußten den wahren Schuldigen finden.
Warja selbst hatte Fandorin dringlich gebeten, sie als Gehilfin zu nehmen.
Petjas Aussichten waren schlecht. Warja durfte ihn nicht besuchen, aber sie wußte von Fandorin, daß alle Indizien gegen den Chiffrierer Jablokow sprachen. Er hatte von Oberstleutnant Kasansaki den Befehl des Oberbefehlshabers erhalten, ihn sogleich chiffriert und die Depesche dann entsprechend der Instruktion persönlich zur Telegraphenstation gebracht. Warja hegte den Verdacht, der zerstreute Petjakönnte die beiden Städte verwechselt haben, zumal alle Welt die Festung Nikopol kannte, während von dem Städtchen Plewna noch kaum jemand gehört hatte. Aber Kasansaki glaubte nicht an Zerstreutheit, und Petja selbst behauptete steif und fest, sich genau zu erinnern, wie er Plewna verschlüsselte, diesen komischen Namen. Am schlimmsten war, daß er, wie Fandorin, der einem der Verhöre beigewohnt hatte, ihr erzählte, eindeutig etwas verbarg, noch dazu äußerst ungeschickt. Lügen konnte Petja überhaupt nicht, das wußte Warja. Alles lief auf ein Tribunal hinaus.
Nach dem wahren Schuldigen suchte Fandorin auf sonderbare Weise. Morgens bekleidete er sich mit einem albernen gestreiften Trikot und machte eine ausgiebige englische Gymnastik. Tagelang lag er auf dem Feldbett, schaute gelegentlich bei der Operationsabteilung des Stabs vorbei und verbrachte die Abende unweigerlich im Klub bei den Presseleuten. Er rauchte Zigarren, las in seinem Buch, trank Wein, ohne berauscht zu werden, und mischte sich ungern in die Gespräche. Aufträge gab er ihr nicht. Bevor er ihr gute Nacht wünschte, sagte er nur: »M-morgen abend sehen wir uns im Klub.«
Warja war wütend über ihre Hilflosigkeit. Tagsüber ging sie durchs Lager und spähte nach Verdächtigem aus. Doch Verdächtiges sah sie nicht, und wenn sie müde war, besuchte sie Fandorin in seinem Zelt, um ihn aufzurütteln und seine Aktivität zu wecken. In der Höhle des Titularrats herrschte eine grauenvolle Unordnung: Überall lagen Bücher, Generalstabskarten, umflochtene bulgarische Weinflaschen, Kleidungsstücke, Kanonenkugeln, die wohl als Hanteln dienten. Einmal setzte sich Warja in einen Teller mit kaltem Plow, der auf einem Stuhl stand, und wurde bitterböse, sie bekam den Fettfleck aus ihrem einzigen anständigen Kleid durch kein Waschen mehr heraus.
Am Abend des 7. Juli feierte Oberst Lucan im Presseklub (so wurde das Zelt der Journalisten nach englischer Gepflogenheit genannt) seinen Geburtstag. Aus diesem Anlaß wurden aus Bukarest drei Kisten Champagner herangeschafft, und das Geburtstagskind versicherte, pro Flasche dreißig Francs bezahlt zu haben. Das Geld war in den Sand gesetzt, denn der Urheber der Festlichkeit war schnell vergessen – Held des Tages war d’Hévrais.
Am Morgen hatte sich der Franzose mit dem Zeissglas, das er dem blamierten MacLaughlin abgewonnen hatte (Fandorin bekam für seinen Hunderter ganze Tausend – dank Warja), auf eine riskante Expedition begeben:
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