Türkisches Gambit
Großwesir, sondern die Mutter und die Lieblingsfrau des Padischah. Und natürlich der Obereunuch des Harems.«
»Trotzdem, wieviel Frauen darf der Sultan haben?« fragte Perepjolkin und blickte schuldbewußt zu Sobolew. »Ich frag nur so, aus Neugier.«
»Vier, wie jeder Rechtgläubige. Aber außer den vollberechtigten Ehefrauen hat der Padischah noch Iqbal, so was wie Favoritinnen, und ganz junge Gedikli, ›Mädchen, die dem Auge wohltun‹, Anwärterinnen auf die Rolle der Iqbal.«
»Na, das ist schon besser.« Lucan nickte zufrieden und zwirbelte den Schnauzbart. Warja warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
Sobolew fragte lüstern: »Aber außer den Ehefrauen und Beischläferinnen gibt es doch auch noch Sklavinnen?«
»Alle Frauen des Sultans sind Sklavinnen, aber nur so lange, bis ein Kind geboren wird. Dann erhält die Mutter sofortden Titel einer Prinzessin und kommt in den Genuß aller ihr zustehenden Privilegien. Als Beispiel: Die allmächtige Besma, die Mutter des verstorbenen Abd ul Asis, war seinerzeit eine einfache Badegehilfin, aber sie hat Mahmud II. so erfolgreich eingeseift, daß er sie erst als Beischläferin nahm und sie später zu seiner Lieblingsfrau erhob. Die Frauen haben in der Türkei wahrhaft unbegrenzte Karrieremöglichkeiten.«
»Aber es muß doch verdammt anstrengend sein, solch eine Last am Hals zu haben«, sagte einer der Journalisten nachdenklich.
»Einige Sultane sind auch schon zu diesem Schluß gelangt«, sagte d’Hévrais schmunzelnd. »Ibrahim I. zum Beispiel hatte alle seine Frauen gründlich satt. Für Iwan den Schrecklichen und Heinrich VIII. war die Situation einfacher – die alte Frau auf den Richtblock oder ins Kloster, und schon konnten sie eine neue nehmen. Aber was macht man, wenn man einen ganzen Harem hat?«
»Ja, was?« fragten die Zuhörer.
»Meine Herren, die Türken kapitulieren nicht vor solchen Schwierigkeiten. Der Padischah ließ alle Frauen in Säcke stopfen und im Bosporus ersäufen. Am nächsten Morgen waren Seine Majestät Junggeselle und konnten sich einen neuen Harem zulegen.«
Die Männer wieherten, doch Warja rief: »Schämen Sie sich, meine Herren, das ist doch entsetzlich!«
»Mademoiselle Warja, schon seit fast hundert Jahren sind die Sitten am Hof des Sultans gemäßigter«, sagte d’Hévrais tröstend. »Und das dank einer außergewöhnlichen Frau, übrigens einer Landsmännin von mir.«
»Erzählen Sie«, bat Warja.
»Das war so. Auf dem Mittelmeer kreuzte ein französischesSchiff, und unter den Passagieren war ein siebzehnjähriges Mädchen von ungewöhnlicher Schönheit. Sie hieß Aimée Dubuc de Rivery und stammte von der zauberhaften Insel Martinique, die der Welt schon mehrere legendäre Schönheiten geschenkt hatte, darunter Madame de Maintenon und Josephine Beauharnais. Mit der letzteren, die damals noch schlicht Josephine Tascher de la Pagerie hieß, war unsere junge Aimée gut bekannt, ja, befreundet. Die Geschichte verschweigt, warum die reizende Kreolin die Schiffsfahrt unternehmen mußte, und das auf Meeren, die von Piraten wimmelten. Wir wissen nur, daß das Schiff vor der Küste von Sardinien von Korsaren gekapert und die Französin nach Algier gebracht wurde, auf den Sklavenmarkt, wo sie der algerische Dei persönlich kaufte. Der Dei war alt, und weibliche Schönheit interessierte ihn nicht mehr, dafür interessierten ihn gute Beziehungen zur Hohen Pforte, und so wurde die arme Aimée nach Stambul verfrachtet, als lebendiges Geschenk für den Sultan Abd ul Hamid I., den Großvater des jetztigen Abd ul Hamid II. Der Padischah behandelte seine Gefangene sorgsam wie einen kostbaren Schatz, er zwang sie zu nichts, sie mußte nicht einmal zum Islam konvertieren. Der weise Herrscher zeigte Geduld, und Aimée lohnte es ihm mit Liebe. Sie gebar ihm den Prinzen Mahmud, der später Monarch wurde und als großer Reformer in die Geschichte einging. Die Mutter lehrte ihn die französische Sprache, weckte seine Vorliebe für die französische Literatur und das französische Freidenkertum. Seitdem wendet die Türkei das Gesicht dem Westen zu.«
»Sie erzählen ja Märchen«, sagte MacLaughlin zänkisch. »Bestimmt haben Sie wieder geflunkert und übertrieben.«
Der Franzose lächelte verschmitzt und schwieg, Surow aber, der schon einige Zeit Ungeduld spüren ließ, rief plötzlich:»Übrigens, meine Herren, wollen wir nicht ein Spielchen machen? Wir reden nur immerzu. Das ist irgendwie ungesellig.«
Warja hörte Fandorin dumpf
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