Türkisches Gambit
Mekka, und legt los: ›O großer und allmächtiger Allah, sei Deinem treuen Sklaven gnädig und lasse ihn noch zu Lebzeiten sehen, wie in der Hölle die Giaurs schmoren, die unwürdig sind, über Deine geheiligte Erde zu gehen.‹ Gut, aber seit wann betet man auf französisch zu Allah? Na schön, denk ich, jetzt werd ich auch eine Neuerung in den orthodoxen Kanon einführen. Der Scheich dreht sich zu mir um und grient zufrieden – Kunststück, er hat ja einen Giaur zurechtgewiesen. ›Gib mir den Brief deines Generals‹, sagt er. – ›Pardonnez-moi, éminence‹, antworte ich. ›Wir Russen haben jetzt das Mittagsgebet. Gedulden Sie sich ein Minütchen.‹ Ich krach auf die Knie und bete in der Sprache Corneilles und Rocamboles: ›Allgütiger Gott, erfreue Deinen sündigen Sklaven, den Chevalier Ippolit, und lasse ihn sehen, wie die muselmanischen Hunde in der Pfanne geröstet werden.‹ Ich hab also die ohnehin nicht einfachen russisch-türkischen Beziehungen noch mehr kompliziert. Der Scheich nahm mir den Brief nicht ab, er fluchte lautstark in seiner Sprache und setzte mich und den Dolmetscher vor die Tür. Na, Gnatjew hatmich zum Schein gerügt, war aber wohl ganz zufrieden. Er hat ja gewußt, wen er zu wem schickt und wozu.«
»Toll, wie in Turkestan«, sagte Sobolew beifällig.
»Aber nicht sehr diplomatisch«, warf Hauptmann Perepjolkin ein und musterte den hemdsärmeligen Husaren mißbilligend.
»Ich bin nicht lange Diplomat geblieben«, sagte Surow seufzend und fügte nachdenklich hinzu: »Ist wohl nicht meine Strecke.«
Fandorin ließ ein recht lautes »Hm« hören.
»Einmal bin ich auf der Galata-Brücke spazierengeritten, hab die russische Montur ausgeführt und die schönen Frauen beguckt. Die trugen zwar den Tschador, aber die Teufelinnen nahmen dafür das allerdurchsichtigste Gewebe, so daß es noch verführerischer wirkte. Plötzlich seh ich – in einer Kutsche sitzt ein göttliches Wesen, und die samtenen Riesenaugen blitzen nur so über den Schleier hinweg. Neben ihr ein fetter abessinischer Eunuch, ein Klotz von Kerl, dahinter noch eine Kutsche mit Dienerinnen. Ich steige ab und mach meine Verbeugung, würdevoll, wie es sich für einen Diplomaten gehört, da zieht sie den Handschuh aus und schickt mir mit ihrem weißen Händchen« (Surow spitzte den Mund) »eine Kußhand.«
»Sie hat den Handschuh ausgezogen?« fragte d’Hévrais mit Kennermiene. »Das ist was Ernstes, meine Herren. Der Prophet hat hübsche Händchen für den verführerischsten Teil des weiblichen Körpers gehalten und den vornehmen Muselmaninnen aufs strengste verboten, ohne Handschuhe zu gehen, um die Männerherzen nicht in Versuchung zu führen. Wenn also eine Muselmanin den Handschuh auszieht, c’est une grande signe 9 , so als entblöße eine europäische Frau … Aber lassen wir die Parallelen«, sagte er mit einem Seitenblick auf Warja.
»Da sehen Sie’s«, griff der Husar auf. »Durfte ich die Dame danach durch Nichtbeachtung beleidigen? Ich nehme mein Pferd beim Zaum, verbeuge mich und will mich vorstellen. Da schlägt mir doch der Eunuch, dieser Stinkstiefel, die Peitsche ins Gesicht. Was tun? Ich zieh den Säbel blank und durchbohr den Flegel, dann wisch ich die Klinge an seinem seidenen Kaftan ab und reite traurig nach Hause. Mir stand der Sinn nicht mehr nach schönen Frauen. Ich fühlte, das nimmt kein gutes Ende. Und richtig, es wurde ganz scheußlich.«
»Nämlich?« fragte Lucan neugierig. »War sie die Frau eines Paschas?«
»Schlimmer.« Surow holte tief Luft. »Die Frau des mohammedanischen Herrschers Abd ul Hamid II. Und der Eunuch hatte natürlich auch dem Sultan gehört. Gnatjew verteidigte mich, wie er nur konnte. Er sagte dem Padischah persönlich: ›Wenn mein Adjutant den Peitschenhieb des Sklaven hingenommen hätte, würde ich ihm eigenhändig die Schulterklappen abgerissen haben wegen Beleidigung des russischen Offiziersstandes.‹ Aber was wissen die schon, was eine Offiziersmontur bedeutet? Ausweisung, binnen vierundzwanzig Stunden. Auf ein Frachtboot, und ab nach Odessa. Zum Glück fing bald der Krieg an. Gnatjew sagte mir zum Abschied: ›Du kannst Gott danken, Surow, daß es nicht die Hauptfrau war, sondern nur die kleine Herrin, Kütschüm Kadin.‹«
»Nicht K-kütschüm, sondern Kütschük«, korrigierte Fandorin und errötete plötzlich, was Warja sonderbar fand.
Surow stieß einen Pfiff aus.
»Oho! Woher weißt du das?«
Fandorin schwieg und sah höchst verdrossen
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