Türkisches Gambit
Armen. Um den Tisch herum flatterte wie ein fetter Falter der Büfettier, um dieWünsche des erfolgreichen Glücksspielers im Fluge zu erhaschen.
Fandorin war nicht im Klub, d’Hévrais auch nicht, MacLaughlin spielte Schach, Sobolew, von Offizieren umringt, war mit der Generalstabskarte beschäftigt und würdigte Warja keines Blicks.
Sie bereute schon, gekommen zu sein, und sagte: »Graf, schämen Sie sich nicht? Wo doch so viele gefallen sind.«
»Aber wir leben, Mademoiselle«, sagte Surow zerstreut und klopfte auf das Kartenspiel. »Sollen wir uns vor der Zeit in den Sarg legen? Oh, das ist Bluff, Lucan. Ich verdoppele.«
Lucan riß den Brillantring vom Finger.
»Ich will sehen.« Langsam, ganz langsam griff er mit zitternder Hand nach Surows Karten, die mit der Rückseite nach oben auf dem Tisch lagen.
In diesem Moment sah Warja den Oberstleutnant Kasansaki geräuschlos hereinschweben, einem Raben erschreckend ähnlich, der süßlichen Leichengeruch gewittert hat. Sie erinnerte sich, womit das Erscheinen des Gendarmen beim letzten Mal geendet hatte, und zuckte zusammen.
»Herr Käsansaki, wo ist d’Hévrais?« sprach MacLaughlin ihn an.
Der Oberstleutnant schwieg vielsagend, wartete, bis im Klub Stille herrschte. Dann antwortete er kurz: »Bei mir. Er schreibt eine Erklärung.« Er räusperte sich und fügte drohend hinzu: »Dann entscheiden wir.«
Die lastende Pause wurde von Surows dreistem Baß unterbrochen: »Das ist der berühmte Gendarm Kosinaki? Ich grüße Sie, Herr Maulschelle.« Mit blitzenden frechen Augen starrte er den rot anlaufenden Oberstleutnant erwartungsvoll an.
»Ich habe viel von Ihnen gehört, Herr Raufbold«, versetzteKasansaki gemächlich und sah den Husaren durchdringend an. »Man kennt Sie. Beißen Sie sich lieber auf die Zunge, sonst rufe ich den Posten und schicke Sie auf die Hauptwache wegen Glücksspiel im Feldlager. Und die Bank wird beschlagnahmt.«
»Da sieht man gleich – ein ernsthafter Mensch.« Surow griente. »Er begreift alles und schweigt wie das Grab.«
Lucan hatte endlich Surows Karten aufgedeckt und griff sich stöhnend an den Kopf. Surow beäugte skeptisch den gewonnenen Ring.
»Nein, Major, wo soll da Verrat sein!« hörte Warja die gereizte Stimme Sobolews. »Perepjolkin, dieser Stabskopf, hat recht: Osman ist beschleunigt marschiert, und unsere Großmäuler haben solches Tempo von den Türken nicht erwartet. Jetzt ist mit den Scherzen Schluß. Wir haben einen gefährlichen Gegner, und der Krieg wird ernst.«
SECHSTES KAPITEL,
in welchem Plewna und Warja
einer Belagerung standhalten
»Wiener Zeitung« (Wien)
vom 30. (18.) Juli 1877
»Unser Korrespondent berichtet aus Schumen, wo sich das Stabsquartier der türkischen Balkanarmee befindet.
Nach der Blamage von Plewna sind die Russen in eine dumme Lage geraten. Ihre Kolonnen ziehen sich Dutzende, ja, Hunderte Kilometer von Süden nach Norden, ihre Verbindungswege sind ungeschützt, ihr rückwärtiger Raum steht offen. Durch das geniale Flankenmanöver von Osman Pascha haben die Türken Zeit gewonnen für die Umgruppierung ihrer Kräfte, und die kleine bulgarische Stadt ist für den russischen Bären zu einem Splitter in seiner zottigen Flanke geworden. In Kreisen, die dem Hof von Konstantinopel nahestehen, herrscht zurückhaltender Optimismus.«
Einerseits standen die Dinge so scheußlich, wie es scheußlicher nicht ging. Der arme Petja schmachtete hinter Schloß und Riegel – nach dem Blutbad von Plewna hatte der bösartige Kasansaki keine Zeit für den Chiffrierer, aber das Tribunal drohte Petja noch immer.
Andererseits (Warja gestand es sich ungern ein) war ihr Leben noch nie so … interessant gewesen. Ja: interessant, das Wort traf es genau.
Der Grund, wenn sie ehrlich sein wollte, war unanständig einfach. Zum erstenmal im Leben hatte sie so viele Verehrer auf einmal, und was für Verehrer! Kein Vergleich mit den Reisegefährtenvon neulich und mit den pickligen Petersburger Studenten. Die banale Weibsnatur, mochte Warja sie noch so sehr unterdrücken, wuchs wie ein Unkraut aus dem dummen, eitlen Herzen. Das war nicht gut.
Am Morgen des 18. Juli, einem wichtigen und beachtenswerten Tag (darüber später), erwachte Warja mit einem Lächeln. Sie war noch nicht richtig wach, da spürte sie schon durch die geschlossenen Lider das Sonnenlicht, sie streckte sich wohlig, und ein freudiges und festliches Gefühl beherrschte sie. Erst als nach dem Körper auch der Verstand erwacht war,
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