Türkisches Gambit
meiner Mutter, ich schlitz ihm den Bauch auf. Tausend Jahre Dein Wildkatz.‹«
»Dein oder deine?« fragte der Major.
»Nicht deine, eben dein.« Misinow lächelte schief. »Das ist es ja eben. Bevor Kasansaki an die Gendarmerieverwaltung Kischinjow versetzt wurde, diente er in Tiflis. Wir haben sofort eine Anfrage hingeschickt, und die Antwort ist schon da. Lesen Sie das Telegramm vor, Nowgorodzew.«
Der Adjutant las das neue Papier mit sichtlich größerem Vergnügen vor als den Liebeserguß.
»An Seine Hohe Exzellenz Generaladjutant L. A. Misinow als Antwort auf die Anfrage vom 31. August, eingegangen um 1.52 Uhr mittags. Höchst dringend. Höchst geheim.
Ich melde, daß der Oberstleutnant Iwan Kasansaki sich während seines Dienstes in der Tifliser Gendarmerieverwaltung von Januar 1872 bis September 1876 als tüchtiger, energischer Mitarbeiter bewährt und keine offiziellen Rügen erhalten hat. Im Gegenteil, er bekam für untadeligen Dienst den St.-Stanislaw-Orden dritter Klasse und zwei Dankurkunden vom Kaukasus-Statthalter S.K. Hoheit. Allerdings hatte er nach einer im Sommer 1876 eingegangenen Agentenmeldung absonderliche Vorlieben und stand wohl sogar in einer widernatürlichen Beziehung zu dem bekannten Tifliser Päderasten Fürst Wissarion Schalikow, genannt Wildkatz Besso. Ich hätte solch unbewiesenem Tratsch keine Bedeutung beigemessen, aber in Erwägung, daß Oberstleutnant Kasansaki ungeachtet seines reifen Alters Junggeselle ist und bei ihm nie Kontakte mit Frauen wahrgenommen wurden, habe ich eine verdeckte interne Ermittlung anstellen lassen. Es wurde festgestellt, daß Oberstleutnant Kasansaki in der Tat mit Wildkatz bekannt ist, doch intime Beziehungen wurden nicht bestätigt. Gleichwohl habe ich es für gut befunden, Oberstleutnant Kasansaki in eine andere Verwaltung versetzen zu lassen, ohne Folgen für seine Dienstliste.
Chef der Tifliser Gendarmerieverwaltung Oberst Pantschulidsew.«
»So ist das«, resümierte Misinow bitter. »Er entledigt sich eines zweifelhaften Mitarbeiters und verschweigt seinen Vorgesetzten den Grund. Unter dem Resultat hat nun die ganze Armee zu leiden. Wegen des Verrats von Kasansaki lungernwir zwei Monate vor diesem verdammten Plewna und haben keine Ahnung, wie lange es noch dauert! Der allerhöchste Namenstag ist verdorben! Der Imperator hat heute von Rücktritt gesprochen, können Sie sich das vorstellen?« Er schluckte krampfhaft. »Drei mißglückte Sturmangriffe, meine Herren! Drei! Erinnern Sie sich, Erast Petrowitsch, wie Kasansaki den ersten Befehl über die Einnahme Plewnas in die Chiffrierabteilung brachte? Ich kann mir nicht vorstellen, wie er es fertigkriegte, ›Plewna‹ durch ›Nikopol‹ zu ersetzen, aber der Judas hat eindeutig dabei die Hand im Spiel gehabt.«
Warja zuckte zusammen und dachte, daß sich für Petja nun ein Lichtschein auftat. Der General aber fuhr mümmelnd fort: »Den Oberst Pantschulidsew lasse ich zur Lehre für andere Schweiger natürlich vor Gericht stellen, und ich werde seine vollständige Degradierung durchsetzen, aber sein Telegramm ermöglicht es uns, die ganze Kette deduktiv wiederherzustellen. Hier ist alles ziemlich einfach. Die türkischen Agenten, von denen es im Kaukasus wimmelt, haben sicherlich von Kasansakis geheimem Laster erfahren, und der Oberstleutnant wurde mittels Erpressung angeworben. Immer wieder dieselbe Geschichte, so alt wie die Welt. ›Wantschik-Charitontschik‹! Pfui Deiwel! Wenn er’s wenigstens für Geld gemacht hätte!«
Warja wollte eben den Mund öffnen, um für die Anhänger der gleichgeschlechtlichen Liebe ein Wort einzulegen, die letzten Endes nichts dafür konnten, daß die Natur sie anders als die anderen geschaffen hatte, aber da stand Fandorin auf.
»Erlauben Sie mir einen Blick auf den Brief«, bat er, drehte den Brief in den Händen, fuhr mit dem Finger über den Knick und fragte: »Wo ist das K-kuvert?«
»Erast Petrowitsch, ich muß mich über Sie wundern.« Der General breitete die Arme aus. »Kuvert? Solche Briefe werden doch nicht mit der Post geschickt.«
»Der hat in seiner Innentasche gesteckt? Na ja.« Fandorin setzte sich wieder.
Misinow zuckte die Achseln.
»Sie machen besser folgendes, Erast Petrowitsch. Ich kann nicht ausschließen, daß der Verräter außer Oberst Lucan noch jemanden angeworben hat. Ihre Aufgabe ist es, herauszufinden, ob es im Stab oder drumherum noch weitere Drachenzähne gibt. Major«, sagte er zu dem ranghöchsten Offizier, der sprang
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