Türkisches Gambit
erfahren wir mehr als hier in der Savanne. Außerdem wird es gleich dunkel.«
Aber im Stab wußte man nichts Genaues, denn vom Hauptquartier war keine Meldung über die Einnahme von Plewna gekommen, im Gegenteil, wie sich herausstellte, war der Angriff in allen wichtigen Punkten gescheitert, und die Verluste waren astronomisch hoch, mindestens zwanzigtausend Mann. Der Imperator war ganz niedergeschlagen, erzählte man, und auf die Frage nach Sobolews Erfolg wurde nur abgewinkt: Wie hätte der mit seinen zwei Brigaden Plewnanehmen sollen, wenn sechzig Bataillone im Zentrum und auf der rechten Flanke nicht einmal die erste Linie der Redouten hatten besetzen können?
Eine dumme Situation. MacLaughlin triumphierte, zufrieden mit seiner Umsicht, und Warja war wütend auf Surow: dieser Prahlhans und Lügenbold, er hatte sonst was erzählt und alle in die Irre geführt.
Die Nacht brach an, die Generäle kehrten mürrisch in den Stab zurück. Warja sah den Oberbefehlshaber Nikolai Nikolajewitsch, umgeben von Adjutanten, das Häuschen der Operationsabteilung betreten. Sein vom dichten Backenbart umrahmtes Pferdegesicht zuckte.
Alle tuschelten über die riesigen Verluste, es war wohl ein Viertel der Armee gefallen, aber laut sprach man nur vom Heldenmut der Soldaten und Offiziere. Heldenmut hatten viele gezeigt, namentlich die Offiziere.
In der ersten Stunde kam Fandorin zu Warja.
»Kommen Sie, Warwara Andrejewna. Wir sind zur Führung bestellt.«
»Wir?« fragte sie verwundert.
»Ja. Die ganze Sonderabteilung, auch Sie und ich.«
Schnellen Schritts gingen sie zu der Lehmhütte, in der die Dienststelle von Oberstleutnant Kasansaki untergebracht war.
In dem bekannten Zimmer waren die Offiziere und Mitarbeiter der Sonderabteilung der Westgruppe versammelt, nur der Vorgesetzte fehlte.
Am Tisch saß mit drohender Miene General Lawrenti Misinow.
»Ah, der Herr Titularrat und sein Fäulein Sekretärin geben uns die Ehre«, sagte er giftig. »Na wunderbar, jetzt müssen wir nur noch auf den Herrn Oberst warten, dann können wir anfangen. Wo ist Kasansaki?« blaffte der General.
»Es hat ihn am Abend noch niemand gesehen«, antwortete zaghaft der ranghöchste Offizier.
»Großartig. Schöne Geheimnishüter.«
Misinow sprang auf und stampfte durchs Zimmer.
»Das ist keine Armee, sondern ein Wanderzirkus! Wen man auch sucht, er ist nicht da. Verschwunden! Spurlos!«
»Hohe Exzellenz sprechen in R-rätseln. Worum geht es?« fragte Fandorin halblaut.
»Ich weiß es nicht, Erast Petrowitsch, ich weiß es nicht!« schrie Misinow. »Ich hatte gehofft, Sie und Herr Kasansaki würden es mir erklären.« Er verstummte, bezwang sich mühsam und fuhr ruhiger fort: »Nun gut. Wir warten nicht länger. Ich komme eben vom Imperator. Habe einer höchst interessanten Szene beigewohnt: Der General Sobolew vom Gefolge Seiner Kaiserlichen Majestät brüllte sowohl Seine Kaiserliche Majestät als auch Seine Kaiserliche Hoheit an, und der Imperator und der Oberbefehlshaber rechtfertigten sich vor ihm.«
»Ausgeschlossen!« ächzte einer der Gendarmen.
»Still!« schnauzte der General. »Zuhören! Es hat sich herausgestellt, daß gegen vier Uhr nachmittags Sobolews Abteilung mit einem frontalen Stoß die Krischin-Redoute einnahm, zum südlichen Stadtrand von Plewna durchbrach und in den Rücken der türkischen Hauptkräfte gelangte, aber haltmachen mußte, weil sie zu wenig Bajonnette und Artillerie hatte. Sobolew schickte mehrere Kuriere los mit der Forderung nach Verstärkung, doch die wurden von den Baschi-Bosuks abgefangen. Um sechs konnte sich endlich Adjutant Surow mit fünfzig Kosaken zur Zentralgruppe durchschlagen. Die Kosaken kehrten zu Sobolew zurück, weil dort jeder Mann gebraucht wurde, und Surow ritt allein zum Hauptquartier. Sobolew wartete dringlich auf die Verstärkung, doch vergebens.Und das ist nicht erstaunlich, denn Surow kam nicht im Hauptquartier an, und vom Erfolg der linken Flanke wußten wir nichts. Am Abend verlegten die Türken ihre Truppen und warfen sich mit aller Macht auf Sobolew, er verlor einen Großteil seiner Männer und mußte sich vor Mitternacht auf seine Ausgangspositionen zurückziehen. Wir hatten Plewna schon in der Tasche! Frage an die Anwesenden: Wo kann Adjutant Surow abgeblieben sein – am hellichten Tag, mitten in unserer Stellung? Wer kann antworten?«
»Wahrscheinlich Oberstleutnant Kasansaki«, sagte Warja, und alle drehten sich zu ihr um.
Aufgeregterzähltesie, wassie von
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