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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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glänzenden schwarzen Augen dauernd zu Warja herüber, und das war ihr angenehm.
    »Und der Imperator sagt zu ihm: ›Als Zeichen der Achtung vor Ihrer Tapferkeit, Muschir, gebe ich Ihnen Ihren Säbel zurück, den Sie auch bei uns in Rußland tragen können, wo Sie, wie ich hoffe, keinen Grund zur Unzufriedenheit haben werden.‹ Schade, daß du nicht dabei warst.«
    »Dafür hatte ich am neunundzwanzigsten Dienst beim Rat«, antwortete der andere neidisch. »Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie der Imperator zu Miljutin sagte: ›Dmitri Alexandrowitsch, ich ersuche Sie als den ältesten der hier anwesenden Ritter des Georgskreuzes, mir das Georgs-Portepee an den Säbel zu heften. Ich glaube, ich habe es verdient.‹ ›Ich ersuche Sie‹! Wie findest du das?«
    »Ja, das ist schlecht«, pflichtete der Schwarzäugige ihm bei. »Darauf hätten sie auch selber kommen können. Dabei war der Imperator so großzügig! Totleben und Nepokoitschizki haben den Georg zweiter Klasse bekommen, Ganezki den Georg dritter. Und er selber bloß das Portepee.«
    »Und was ist mit Sobolew?« fragte Warja lebhaft, obwohl sie mit diesen Herren nicht bekannt war. Macht nichts, es ist Krieg, und dies ist ein besonderer Fall.
    »Unser weißer General kriegt bestimmt etwas ganz Besonderes«, antwortete der Schwarzäugige bereitwillig. »Wenn schon sein Stabschef Perepjolkin einen Dienstgrad übersprungen hat! Ist ja auch richtig – ein kleiner Hauptmann kann schließlich nicht solch einen Posten einnehmen. Und vor Sobolew tun sich jetzt solche Horizonte auf, daß einem die Luft knapp wird. Er hat wahrhaftig Glück. Hätte er nicht solch eine Vorliebe fürs Vulgäre und für billige Effekte …«
    »Psst!« zischte der andere. »Sie kommen!«
    Auf die Vortreppe des unansehnlichen Hauses, das stolz »Feldpalast« genannt wurde, traten vier Uniformierte: der Imperator, der Oberbefehlshaber, der Thronfolger und der Fürst von Rumänien. Zar Alexander trug einen Uniformwintermantel, und an seinem Säbelgriff sah Warja ein helles orangenes Fleckchen, das mußte wohl das bewußte Portepee sein.
    Das Orchester schmetterte den feierlichen Marsch der Preobrashenskojer.
    Ein Gardeoberst trat stramm vor, salutierte und rief mit schallender, vor Erregung zitternder Baßstimme: »Kaiserliche Majestät! Gestatten Sie, Ihnen namens der Offiziere Ihrer persönlichen Eskorte einen goldenen Säbel mit der Aufschrift ›Für Tapferkeit‹ zu überreichen! Zur Erinnerung an den gemeinsamen Kriegsdienst! Gekauft von den persönlichen Mitteln der Offiziere!«
    Einer der Flügeladjutanten flüsterte Warja zu:
    »Gut gemacht! Tolle Kerle!«
    Der Imperator nahm das Geschenk entgegen und wischte mit dem Handschuh eine Träne weg.
    »Danke, meine Herren, danke. Bin gerührt. Jeder bekommt von mir einen Säbel. Ein halbes Jahr haben wir sozusagen aus demselben Kochgeschirr …«
    Er sprach nicht zu Ende, winkte nur.
    Rundum schneuzte sich alles, einer schluchzte sogar auf. Warja sah plötzlich in der Menge der Beamten Fandorin. Wie kam der hierher? Er war doch nur ein kleiner Titularrat. Aber da entdeckte sie neben Fandorin den Chef der Gendarmerie, und nun war alles klar. Fandorin war letztlich der wahre Held, dem die Gefangennahme der türkischen Armee zu danken war. Ohne ihn hätte diese Parade nicht stattfinden können. Er würde wohl auch eine Auszeichnung erhalten.
    Fandorin fing Warjas Blick auf und schnitt eine hypochondrische Grimasse. Die allgemeine Begeisterung schien er nicht zu teilen.
    Nach der Parade erwehrte sie sich fröhlich des schwarzäugigen Flügeladjutanten, der dauernd versuchte, gemeinsame Petersburger Bekannte zu finden, da trat Fandorin herzu, machte eine leichte Verbeugung und sagte:
    »Entschuldigen Sie, Herr O-oberst. Warwara Andrejewna, der Imperator möchte Sie und mich sehen.«

ELFTES KAPITEL,
    in welchem Warja
in die höchsten Sphären der Politik vordringt
    »Times« (London)
    vom 16. (4.) Dezember 1877
    Derby und Carnarvon drohen mit Rücktritt
    »Auf der gestrigen Kabinettssitzung schlug Graf Beaconsfield vor, vom Parlament einen außerordentlichen Kredit von 6 Millionen Pfund Sterling zu fordern, mit denen ein Expeditionskorps ausgerüstet werden soll, das binnen kurzer Zeit auf den Balkan geschickt werden kann, um die Interessen des Imperiums gegen die unmäßigen Ansprüche Zar Alexanders zu verteidigen. Der Beschluß wurde angenommen gegen den Widerstand des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten Lord Derby und des

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