Türkisches Gambit
gründlich auf seine Mission vorbereitet hat.«
»Wie ist dieses Subjekt überhaupt zur kämpfenden Armee gekommen?« fragte der Zar unzufrieden. »Habt ihr den Korrespondenten ohne jede Überprüfung Visa erteilt?«
»Eine Überprüfung hat es selbstverständlich gegeben, eine sehr gründliche sogar.« Der Chef der Gendarmerie breitete die Arme aus. »Von jedem ausländischen Journalisten haben wir bei den Redaktionen eine Publikationsliste angefordert, außerdem haben wir bei unseren Botschaften Erkundigungen eingeholt. Jeder dieser Zeitungsleute ist ein bekannter Mann, hat einen Namen, ist nicht durch Feindschaft gegen Rußland aufgefallen. Das trifft ganz besonders auf MacLaughlin zu. Ein sehr gründlicher Herr. Er hat schon währenddes Feldzugs in Mittelasien mit vielen russischen Generälen und Offizieren freundschaftliche Beziehungen geknüpft. Seine Reportagen über die türkischen Greuel in Bulgarien im vorigen Jahr haben ihm die Reputation eines Freundes der Slawen und eines aufrichtigen Anhängers Rußlands eingetragen. Doch in der ganzen Zeit hat er sicherlich nach geheimen Instruktionen seiner Regierung gehandelt, die bekanntlich unserer Orientpolitik mit offener Feindseligkeit begegnet.
Anfangs hat sich MacLaughlin auf reine Spionagetätigkeit beschränkt. Er hat natürlich Informationen über unsere Armee nach Plewna übermittelt und dazu die Bewegungsfreiheit genutzt, die wir den ausländischen Journalisten voreilig einräumten. Ja, viele von ihnen besaßen, von uns nicht kontrolliert, Kontakte in der belagerten Stadt, und das hat bei unserer Spionageabwehr keinerlei Verdacht erregt. Für die Zukunft werden wir entsprechende Schlußfolgerungen ziehen. Ich nehme die Schuld auf mich … MacLaughlin hat sich, solange es ging, fremder Hände bedient. Euer Majestät werden sich an den Vorfall mit dem rumänischen Oberst Lucan erinnern, in dessen Notizbuch ein geheimnisvolles J vorkam. Ich hatte voreilig angenommen, es ginge um den Gendarmen Kasansaki. Nein, ich hatte mich geirrt. Das J stand für ›Journalist‹, also den Briten.
Aber als während des dritten Sturmangriffs das Schicksal Plewnas und des ganzen Krieges am seidenen Faden hing, verlegte sich MacLaughlin auf direkte Diversion. Ich bin überzeugt, daß er nicht auf eigenes Risiko handelte, sondern Instruktionen von seinen Vorgesetzten hatte. Ich bedaure, daß ich nicht von Anfang an die geheime Überwachung des britischen diplomatischen Agenten Oberst Wellesley veranlaßt habe. Ich habe Majestät bereits die antirussischenManöver dieses Herrn gemeldet, dem die türkischen Interessen eindeutig näher stehen als die unseren.
Jetzt rekonstruiere ich die Ereignisse des dreißigsten August. General Sobolew durchbrach, auf eigene Initiative handelnd, die türkische Verteidigung und gelangte an den südlichen Stadtrand von Plewna. Verständlich – denn der von seinem Agenten über unseren Angriffsplan informierte Osman hatte alle Kräfte im Zentrum zusammengezogen. Sobolews Stoß traf ihn unerwartet. Aber unsere Führung erfuhr nicht rechtzeitig von dem Erfolg, und Sobolew hatte nicht genug Kräfte, um weiter vorzustoßen. MacLaughlin und die übrigen Journalisten und ausländischen Beobachter, unter denen, nebenbei bemerkt, auch Oberst Wellesley war, befanden sich zufällig am Schaltpunkt unserer Front – zwischen dem Zentrum und der linken Flanke. Um sechs durchbrach Graf Surow, Sobolews Adjutant, die türkischen Sperren. Während er an den Journalisten vorüberritt, die er gut kannte, informierte er sie über den Vorstoß seiner Abteilung. Wie ging es weiter? Die Korrespondenten stürmten alle nach hinten, um schleunigst telegraphisch weiterzumelden, daß die russische Armee vor dem Sieg stehe. Alle, nur MacLaughlin nicht. Frau Suworowa traf ihn eine halbe Stunde später – er kam allein, schlammbespritzt, aus einem Gestrüpp. Zweifellos hatte der Journalist die Zeit und die Möglichkeit gehabt, den Kurier einzuholen und umzubringen, dazu auch noch den Oberstleutnant Kasansaki, der sich zu seinem Unglück an Surows Fersen geheftet hatte. Beide kannten MacLaughlin gut und konnten keine Treubrüchigkeit von ihm erwarten. Nun, und den Selbstmord des Oberstleutnants zu inszenieren war nicht schwer – den Leichnam ins Gebüsch zerren, mit dem Revolver des Gendarmen zweimal in die Luft schießen, und fertig. Auf diesen Angelhaken habe ich ja auch angebissen.«
Misinow senkte betrübt den Blick, doch er wartete den nächsten Vorwurf des Zaren
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