Türkisches Gambit
nicht ab und spann seinen Faden weiter:
»Was nun den jüngsten Durchbruch betrifft, so handelte MacLaughlin hier nach Absprache mit der türkischen Führung. Man kann sagen, er war die Trumpfkarte Osmans. Ihr Kalkül war einfach und richtig: Ganezki ist ein verdienter General, aber, ich bitte meine Geradlinigkeit zu verzeihen, das Pulver hat er nicht erfunden. Wir wissen, daß er gar nicht auf die Idee kam, die Information des Journalisten anzuzweifeln. Wir müssen General Sobolew danken für seine Entschlossenheit …«
»Herrn Fandorin ist zu danken!« rief Warja, die für Fandorin tödlich beleidigt war. Der stand da und sagte nichts. Hatten sie ihn nur als Dekoration geholt? »Es war doch Fandorin, der zu Sobolew geritten ist und ihn überzeugt hat anzugreifen!«
Der Imperator starrte verblüfft die freche Person an, die da gegen die Etikette verstieß, und der greise Kortschakow schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Selbst Fandorin schien indigniert, er trat von einem Fuß auf den anderen. Warja hatte sie alle vor den Kopf gestoßen.
»Sprich weiter, Misinow.« Der Imperator nickte ihm zu.
»Mit Erlaubnis Eurer Majestät.« Der Kanzler hob den runzligen Finger. »Wenn MacLaughlin eine so verantwortungsvolle Diversion vorhatte, warum sollte er diese Jungfer einweihen?« Der Finger knickte zu Warja hin ab.
»Aber das liegt doch auf der Hand!« Misinow rieb sich die schweißfeuchte Stirn. »Er ging davon aus, daß Frau Suworowa die umwerfende Neuigkeit im ganzen Lager herumtratschen würde. Der Stab würde davon erfahren. Jubel, Wirrwarr. Die folgende Kanonade würde für Salutschießengehalten werden. Es war sogar möglich, daß einer ersten Meldung des angegriffenen Ganezki nicht geglaubt und daß sie erst mal überprüft wurde. Ein kleines Detail, Improvisation eines gewieften Intriganten.«
»Das mag sein«, sagte der Fürst.
»Aber wo ist dieser MacLaughlin geblieben?« fragte der Zar. »Den müßte man verhören und eine Gegenüberstellung mit Wellesley veranlassen. Oh, der Oberst würde sich nicht herauswinden können!«
Kortschakow seufzte träumerisch.
»Ja, eine solche Kompromittierung würde es uns erlauben, die ganze britische Diplomatie zu neutralisieren.«
»MacLaughlin ist weder unter den Gefangenen noch unter den Gefallenen gefunden worden.« Misinow seufzte ebenfalls, doch in anderer Tonlage. »Er ist entkommen. Ich weiß nicht, auf welche Weise. Er ist schlau, der Halunke. Unter den Gefangenen ist auch nicht der Berater Osman Paschas, der berüchtigte Ali Bei, der unseren ersten Sturmangriff scheitern ließ und in dem wir das alter ego von Anwar Effendi vermuten. Über letzteren habe ich Euer Majestät einen schriftlichen Bericht zugestellt.«
Der Zar nickte.
»Was sagen Sie dazu, Michail Alexandrowitsch?«
Der Kanzler kniff ein Auge ein.
»Ich sage, daß es zu einer interessanten Kombination kommen kann, Euer Majestät. Wenn das alles stimmt, sind die Engländer diesmal zu weit gegangen. Wenn wir geschickt vorgehen, können wir vielleicht noch unsern Vorteil daraus ziehen.«
»Na los, na los, was haben Sie sich da ausgedacht?« fragte Zar Alexander neugierig.
»Majestät, mit der Einnahme von Plewna ist der Krieg inseine entscheidende Phase getreten. Der endgültige Sieg über die Türken ist eine Sache weniger Wochen. Ich betone: über die Türken. Es darf nicht so weit kommen wie dreiundfünfzig – da haben wir mit einem Krieg gegen die Türken angefangen und wurden in einen Konflikt mit ganz Europa verwickelt. Unsere Finanzen halten eine solche Konstellation nicht aus. Sie wissen selbst, was uns dieser Feldzug gekostet hat.«
Der Zar verzog das Gesicht wie von Zahnschmerz, und Misinow schüttelte betrübt den Kopf.
»Mich hat das entschlossene und brutale Vorgehen dieses MacLaughlin sehr beunruhigt«, fuhr Kortschakow fort. »Es deutet darauf hin, daß die Briten in ihrem Bestreben, uns nicht an die Meerengen heranzulassen, zu jeder, auch der extremsten, Maßnahme bereit sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß ihr Kriegsgeschwader im Bosporus steht. Zugleich zielt das liebe Österreich, das schon einmal Ihrem Herrn Vater das Messer in den Rücken gestoßen hat, auf unser Hinterland. Um die Wahrheit zu sagen, während Sie hier mit Osman Pascha Krieg führten, habe ich immer mehr über einen anderen Krieg nachgedacht, einen diplomatischen. Wir vergießen hier Blut, verpulvern ungeheure Mittel und Ressourcen und stehen am Ende womöglich mit leeren Händen da. Das verdammte
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