Türme Der Dämmerung
singen.« Er weiß nicht, was quälender ist: ihr enttäuschter Blick oder die Ruhe in seinem Innern, die besagt, dass er nicht lügt.
»Vielleicht ein anderes Mal?«
»Mit Freuden, doch wird es noch eine Zeitlang dauern.«
Die Sängerin blickt Megaera an, dann Creslin. »Wir würden Euch alle gern wieder hören, Euer Gnaden … wenn es möglich ist.«
»Danke.« Creslin nimmt noch einen Schluck.
»Weißt du, woran es liegt, dass dich die Töne quälen?« fragt Megaera.
»Nicht genau. Klerris hat wohl recht. Mein Ordnungs-Gleichgewicht ist gestört. In letzter Zeit habe nicht viel anderes getan, als die Winde zu beobachten.« Er trinkt noch einen Schluck und starrt durchs Fenster in die dunkle Nacht. »Ich weiß es nicht.«
Ein anderer Sänger trägt ein fröhliches Lied zur Gitarre vor.
… der Herzog ging auf die Jagd, auf die Jagd ging er …
Creslin und Megaera lauschen schweigend. Dann steht Creslin auf. »Es ist Zeit zu gehen.« Stumm folgt sie ihm.
CXXV
M it nur einem Großsegel kämpft sich der Küstenschoner aus Sligo durch die ruppige See und an der Mole vorbei. Ein Seemann wirft einem Wachposten auf der Pier eine Leine zu, damit dieser sie um den Poller legt.
Unter der Flagge Sligos weht ein weiteres Banner: gekreuzte schwarze und silberne Blitze auf azurblauem Grund.
Warum fährt ein sligischer Schoner unter dem Banner Westwinds? Creslin läuft in dem leichten Regen die Straße hinab und weicht lediglich den tieferen Pfützen aus. Für ihn gibt es nur eine Antwort auf diese Frage, und dieser möchte er sich nur ungern stellen.
Auch Hyel und Shierra sind auf die Straße gekommen. Sie wechseln vielsagende Blicke, als sie Creslin rennen sehen. »Du solltest Megaera eine Nachricht zukommen lassen.«
»Sie weiß es, da sie spürt, dass Creslin aufgewühlt ist«, bemerkt Shierra.
»Aber doch nicht weshalb, oder?«
»Du hast recht. Außerdem brauchen wir mehr Wachen. Das ist gewiss.«
»Mehr …«
»Stöhne nicht so laut.«
Hyel grinst. »Kommst du?«
»Ja, warum nicht.«
Beide eilen ebenfalls zur Pier und sind an Creslins Seite, als der Küstenschoner festmacht.
»Möchtest du uns etwas erklären?« fragt Hyel und blickt Creslin an.
Creslin deutet auf das Deck, wo Mitglieder der Garde von Westwind stehen.
»Ich würde gern …«, beginnt Hyel.
»Ich sehe, was du meinst, Creslin«, unterbricht ihn Shierra. »Ich hoffe, das sind nicht die einzigen, die überlebt haben.«
»Ist das auch deine Meinung?« fragt Hyel den Regenten.
»Die Marschallin ist tot. Llyse ist tot, und Ryessa hat Truppen nach Osten in die Westhörner entsandt. Würde es Westwind noch geben, kämen jetzt nicht drei Abteilungen nach Recluce.« Creslins Worte klingen hart, aber gefasst.
Der dicke Kapitän des Küstenschoners erteilt der Mannschaft stumm durch Handbewegungen Befehle. Die Seeleute arbeiten schnell. Offenbar wissen sie, was zu tun ist. Dabei streifen sie die Frauen der Garde scheu mit Blicken von der Seite.
Kaum ist die Laufplanke vom Deck auf die Pier gelegt, marschiert eine blonde Soldatin der Garde an Land. Sie geht an Hyel vorbei und bleibt vor Shierra stehen. »Führerin Fiera meldet sich zur Stelle.«
Die Härte in ihrer Stimme zerreißt Creslin fast das Herz. Er schluckt und wartet.
»Wie lautet deine Meldung?« Shierras Stimme wirkt ebenso hart wie die ihrer Schwester.
»Drei vollständige Abteilungen. Ferner zehn Verwundete, die jedoch gehen können. Fünf für immer verkrüppelt und zwanzig Ehemänner und Kinder. Seit unserer Abfahrt in Rulyarth drei Todesfälle. Aber wir bringen einige Vorräte, Waffen, Werkzeug … und alles, was von der Schatzkammer Westwinds noch übrig ist.«
»Meldung verstanden und angenommen, Führerin.«
Shierra dreht sich zur Seite. »Darf ich dir den Regenten Creslin vorstellen? Das ist Führerin Fiera.«
Creslin nickt mit ernster Miene. »Welch große Ehre, Führerin. Du hast einen hohen Preis bezahlt, und groß ist die Ehre deiner Anwesenheit für uns. Nur wenige haben einen höheren Preis entrichtet als du.« Er hasst die Förmlichkeit seiner Rede, doch vermag er angesichts dessen, was sie erlitten hat, keine persönlichen Worte zu finden. Gleichzeitig erinnert er sich an den einen Kuss vor dem Schwarzen Turm. Dann wird ihm das Herz noch schwerer, denn es kann nur einen einzigen Grund geben, warum ihm jetzt die Garde und die Schatzkammer Westwinds gehören.
»Nehmt Ihr Euer Erbe an, Euer Gnaden? Ihr allein seid jetzt alles, was von der einstigen
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