Türme Der Dämmerung

»Du musst aufbrechen. Gehen wir?«
    Sie gehen die Treppe hinab zum Vorderportal des Schlosses. Dort wartet eine Ehrengarde.
    Creslin schluckt. Eine Ehrengarde? Nicht gerechnet die bewaffnete Eskorte? Er tritt zu dem einzigen Pferd, auf dem niemand sitzt. Auf dem Sattel liegen die warme Jacke, die Mütze und Handschuhe. Galen hat nichts vergessen, aber als Mann verfügt er schließlich über große Erfahrung in Haushaltsangelegenheiten.
    »Ich wünsche dir eine gute Reise.«
    Creslin neigt den Kopf und zieht die Jacke, Mütze und Handschuhe an. Dann schwingt er sich in den Sattel. Die Marschallin, wie gewöhnlich in schwarzes Leder gekleidet, steht da, der Wind zerzaust ihr kurzes schwarzes Haar mit den grauen Strähnen.
    Creslin hebt den Arm zum Gruß, dann reitet er los.
    Mit lautem Hufschlag schreitet die Kavalkade durchs offene Tor auf die steinerne Straße über das Dach der Welt, den tiefer liegenden Nationen entgegen.

 
XII
     
    » U nd was willst du jetzt tun? Das Letzte, was wir brauchen, ist eine Allianz zwischen Westwind und Sarronnyn. Schlimm genug, dass die Schwarzen Schwächlinge wieder murren, weil wir angeblich das Gleichgewicht missbrauchen. Bei Ryessas Macht und der Tatsache, dass sie die südlichen Handelsstraßen im Griff hat, dazu dieses irre Miststück Dylyss und ihre Garde …«
    »Du begreifst es immer noch nicht!«
    »Was soll ich begreifen? Ryessa braucht einen Weg, um dieses … Scheusal, ihre Schwester, unter Kontrolle zu halten, und Creslin und Megaera müssen den Anschein wahren, in diese Allianz gezwungen zu werden. Wir müssen sie voneinander fernhalten, und du brauchst einen Hebel der Macht über Montgren. So weit ist es klar. Aber wie auf Erden soll dieser wahnsinnige Plan jemandem – abgesehen von Westwinds und Sarronnyns Interessen – nützen? Oder deinen Gefühlen gegenüber …«
    »Genug. Deine Worte sind nicht ohne Reiz. Du hältst Ryessas Schwester für ein Scheusal, weil sie für die Macht und für den Weißen Weg geboren wurde. Aber Weiß ist für dich doch richtig, nicht wahr? Oder liegt es daran, dass sie eine westliche Frau ist, die der Legende nach geboren wurde?«
    »Die Legende, diese ewige Ausrede!«
    »Wer hatte eigentlich die Idee zu dieser Verlobung?« Der andere Mann ist älter und dünner. Er unterbricht die blumige, hochgestochene Rede des Dicken.
    »Du!«
    »Und was geschieht, wenn der Junge Sarronnyn niemals erreicht?«
    »Mit der Eskorte der Garde von Westwind? Wer wäre so töricht, sich mit denen anzulegen?«
    »Du nimmst an, der Junge spielt bei der Verlobung mit. Das ist eine eher kühne Annahme. Was geschieht, wenn er seinem sorgfältig geplanten Schicksal entflieht?«
    »Die Garde von Westwind wird ihn verfolgen und einfangen.«
    »Und wenn er nicht gefangen wird – oder stirbt? Oder die Schwarzen ihm helfen?«
    »Kannst du dich darauf verlassen?«
    Der Dünne zuckt mit den Achseln. »Die Saat ist gesät. Und zwar sorgfältig, und er ist ein guter Boden. Schließlich war Werlynns Musik nie in Ketten gelegt. Das war zu schade; niemand vermochte so zu singen wie er. Er war ein Schwarzer. Ich bin mir sicher, aber er war zu gescheit, um es zuzugeben.«
    »Das ist alles viel zu theoretisch …«
    »Nein, es ist praktisch, da unser Erfolg auf dem Scheitern dieser unwahrscheinlichen Allianz beruht. Sollte sie nicht zustande kommen, muss die Tyrannin das Scheusal – wie du ihre Schwester nennst – vernichten oder den Weißen Weg anerkennen. Sie und Dylyss werden sich an die Kehle gehen.« Er lacht leise. »Der Herzog hat bereits einige Truppen aus der Garnison in Recluce abberufen. Von denen kann keiner gewinnen, ganz gleich, was jetzt geschieht.«
    »Mir wäre trotzdem eine gezieltere Methode lieber.«
    »Wie Chaos gegen kaltes Eisen? Sei vernünftig.«

 
XIII
     
    C reslin hatte sich die Route nicht so gut eingeprägt, wie er es sich jetzt wünscht. Aber er weiß, dass es zwei Stellen gibt, an denen sein Plan gelingen kann, vorausgesetzt, dass er unentdeckt an Skier und sein Bündel kommt.
    Wie es einem Prinzen geziemt, reitet er in der Mitte des Gefolges hinter sechs Gardesoldatinnen, die eine halbe Meile voraus sind, und vor der Nachhut. Sie besitzen weder Schlitten noch Wagen, da die Garde von Westwind sie nicht benutzt, nur kampferprobte Pferde oder Skier.
    Zu Pferd hat Creslin keine Chance, da er verglichen mit der Garde lediglich ein durchschnittlicher Reiter ist. Doch auf Skiern und mit dem leichten Vorteil, über die Winde zu gebieten, kann