Türme Der Dämmerung
er es schaffen – mit Glück.
Er presst die Lippen zusammen, als Heldra an ihn heranreitet.
»Ihr reitet so stumm, Prinz Creslin.«
Zum ersten Mal spricht sie ihn mit ›Prinz‹ an. Darüber denkt er nach, ehe er antwortet. »Ich finde, der Zeitpunkt ist zum Nachdenken geeignet. Ich habe gehofft, an den Skimeisterschaften im Winter teilzunehmen.«
»Nicht immer verläuft alles nach Plan. Nicht einmal die Winde kontrollieren ihre Bahn, obgleich sie so mächtig sind.«
Creslin ist von der Anspielung, wie sich Winde in seiner Nähe verhalten, nicht überrascht. Obwohl er immer vorsichtig war, ranken sich Gerüchte um ihn. Und das gedankenlose Verhalten am Abend der Bekanntgabe seines Verlöbnisses hatte gewiss nicht dazu beigetragen, sie aufzulösen.
Doch er verfügt über zwei weitere Vorzüge: eiserne Nerven und die vielen Stunden, in denen er Skifahren heimlich geübt hatte. Vielleicht würde ihm auch sein außergewöhnlich gutes Sehvermögen in der Dunkelheit nützen, allerdings nicht an diesem Nachmittag, wenn sie frühestens die Stelle erreichen, wo er fliehen kann.
Er schenkt Heldra keinerlei Aufmerksamkeit. Kurz darauf reitet sie nach vorn, um die Vorhut zu kontrollieren. Creslin denkt an den möglichen Fluchtpunkt. Dort verläuft die Straße offen auf dem Kamm zwischen dem Dach der Welt und der schützenden Bergbarriere. Hier bläst ständig der Wind. Während der langen Winter und zu kurzen Sommer hat er den Schnee auf die Nordseite geweht und in Eis verwandelt, über dem ständig wandernde, trügerische Schneedünen, fein wie Staub, bis zu den Bäumen hinab liegen. Der Hang ist, verglichen mit den Westhörnern, nicht besonders steil, aber es hatte nie einen Grund gegeben, ihn auf Skiern hinabzufahren, da er nur nach Norden führt. Die Garde tut nie etwas ohne Grund.
»Ihr scheint nicht erfreut zu sein, Gemahl der Schwester der mächtigsten Herrscherin im Westen zu werden.« Heldra ist wieder an seine Seite geritten.
Feine Schneeflocken wirbeln über die Steine der Straße, die vom Dach der Welt zu den schützenden Bergen führt. Westlich dieser Barriere liegen die wärmeren Länder Sarronnyn, Suthya und Delapra.
»Sollte ich?«
»Hat die Marschallin die Wahl? Ein Dutzend Frauen der Garde haben versucht, einen Weg zu Euch zu finden.« Sie lächelt gequält. »Früher oder später hätte eine Erfolg gehabt. Und was täte die Marschallin mit einem Erben, vor allem, falls Llyse etwas zustoßen sollte? Wie hätte der Osten das gesehen?«
Creslin erkennt die Logik nicht. Er denkt daran, wie viele Nächte er einsam verbracht hat. War Fiera eine dieser Frauen der Garde? Wie wahrscheinlich war es, ein Kind zu zeugen, obwohl er doch noch jungfräulich war? »Das ist ja nur ein Vorwand. Niemand kann die Marschallin bedrohen.«
»Ist das wirklich wichtig?« bemerkt Heldra ziemlich trocken.
Insgeheim stimmt er ihr zu, sagt jedoch nichts. Heldra reitet wieder zur Vorhut.
Immer noch ziehen dunkelgraue Schneewolken am Winterhimmel dahin. Je näher sie vom Dach der Welt aus zu dem lang gezogenen, nach unten führenden Bergrücken kommen, der vom Plateau zur Bergbarriere der östlichen Westhörner führt, desto stärker wird der Wind.
Creslin lässt sein Pferd bergab langsamer gehen, so dass die Packpferde, die für den Notfall auch Skier tragen, näher kommen. Er greift nach einer Windsträhne und wickelt sie sich ins Haar, um sicherzugehen, dass er es kann, ehe er die Kraft freisetzt.
Jetzt muss er reiten und warten. Reiten und warten – und hoffen.
Der Himmel wird dunkel, dann wieder heller. Die Garde und der Prinz, den sie schützen, nähern sich dem schmalen Bergrücken, der die Herrscherin über Westwind mit den weicheren Regenten der unteren Welt verbindet.
Creslin nutzt Kräfte, die er kontrollieren kann, um von der Nordseite des Bergrückens losen Schnee herzuwehen, bis selbst Heldra die Hand vor Augen nicht mehr sehen kann. Dann greift er zu seinem Bündel, zieht es hervor und schnallt es sich auf den Rücken.
Sein Pferd ist dem Packpferd zu seiner Linken nur eine Kopflänge voraus, als er sich zurücklehnt. Seine Skier sind so fest angebunden, dass er sie nicht herausziehen kann. Er gleitet aus dem Sattel und gibt seinem Pferd einen Klaps auf die Flanke. Dann muss er ein Messer zu Hilfe nehmen, um an seine Skier heranzukommen. Schnellen Schrittes läuft er neben dem Lasttier her, um mit ihm mitzuhalten.
Sein Pferd bleibt stehen. Creslin ist mit einem Satz an seiner Seite und schnappt sich die
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