Tuermer - Roman
können, daß der Hellmund, von dem der Freund berichtete, derselbe wie unser Hellmund sei. Der Freund, der ihn bei seinem Vornamen nannte, was von uns nie jemand getan hatte, sagte, daß er ein Prachtkerl sei, zuverlässig, zu jeder Hilfe bereit, ein echter Kamerad. Wenn er sagt, daß er etwas machen wird, dann macht er das auch, und wenn er dafür bei vollem Beschuß durch den Drahtverhau kriechen muß. Und er würde ihn kennen, als wären sie schon jahrelang befreundet, nur von der Heimat habe er nicht so gern gesprochen, dahin wolle er auch nicht zurück. Sieh mal einer an, sagte Donatus, unser Hellmund. Mir fielen die schönen Rücken der Vögel ein, wie ich sie vom Turm aus sah, die feldbraunen Tauben, die bunt gezeichneten Meisen und die blau glänzenden Schwingen der Krähen. Manchmal flogen sie ganz dicht unterhalb meines Fensters, und ich konnte über ihre Schultern schräg auf die Stadt sehen, das farbige Gefieder, die bunten Dächer. Vom Graben aus aber waren alle Vögel nur ein schwarzer Umriß vor dem Himmel. Ich hatte keine Lust, Donatus zu sagen, daß ich den Bericht von Hellmunds Freund nicht so erstaunlich fände. Das farbige Gefieder, der schwarze Umriß, es waren nur zwei verschiedene Sichtweisen auf dasselbe Wesen. Donatus kam Hellmunds Entschlossenheit wie eine Wandlung vor, für mich schien ganz klar, daß der sensible Hellmund, wenn es darauf ankam, alles in die Waagschale warf. Das befreite ihn von seinem kräftezehrenden Austarieren und Abwägen, es befreite ihn sogar von der Angst, die ich am Tag der Sonnenfinsternis an ihm gesehen hatte, es machte ihn zu einem der Tapfersten.
Angst
Es war diesmal wirklich ein Traum. Ein heller Tag, Köppen und ich stehen im Graben. Das flache Land auf Kinnhöhe. Köppen ist ein Stück größer, er lehnt mit dem Rükken an der Lehmwand und poliert die Schließe seines Koppels. Wir reden über den Krieg. Aber ich erinnere mich an nichts, was Köppen sagte. Ich wollte die ganze Zeit fragen: Ist es so, wie du dachtest? Ist es so, Köppen? das muß ich wissen. Aber meine Gedanken waren so schwer in diesem Lehm. Es ist wie ein Hin- und Herdrehen im Bett, gebunden vom Schlaf, von einer Seite auf die andere. Ich drehe meinen Kopf zu Köppen, er sieht in die andere Richtung. Ich lehne mich mit dem Rücken an den Lehm, Köppen dreht sich um und blickt über das Land. Ich versuche es noch einmal. Doch ich bin immer zu spät. Ich quäle mich mit Wiederholungen, bis ich erschöpft meinen Kopf an einen Sandsack lehne und die Augen schließe. Als ich sie öffne, sehe ich Köppens Gesicht neben meinem. Wir blicken in die aufgeworfene Erde mit Drahtverhau wie auf ein schweres Ölbild, mit einem Strick schräg von der Wand abgehängt: Erde, Baumstämme ohne Äste und Laub, ein sehr hoher Horizont mit einem lieblosen Strich Wald. Die Oberfläche ist rissig, die Farben sind schlecht, sie sind sich alle ähnlich geworden mit der Zeit, und wir haben auch wenig Lust, sie zu unterscheiden. Hast du Angst? frage ich Köppen. Er sagt: Wiederholen Sie. Köppen, wiederholen Sie. Ich verstehe nicht, aber der Traum geht darüber hinweg, ich höre eine hastige Stimme diktieren und fragen: Haben Sie? In dieser Schlinge verfängt sich mein Traum. Haben Sie? Ja. Hastiges Diktat. Haben Sie? Ja. So wache ich auf.
Es ist noch zu früh, es ist noch dunkel. Ich muß zu Köppens Mutter. Sie wird etwas Neues von ihm gehört haben. Ich lausche dem Erwachen der Stadt, ich würde lieber wieder einschlafen, denn die Stadt ist häßlich, wenn sie erwacht. Sie duckt sich und will um jeden Preis unauffällig sein. Sie ist kleinmütig, und ihre Gesichter sind grau vor Sorgen. Immerhin geht es schnell, bis sie erwacht ist, auch wenn sie dann noch immer nicht schöner ist. Ihre Mißlaunigkeit und der Neid, mit denen sie die später auf die Straße Tretenden betrachtet, verlieren sich nur allmählich.
Köppens Mutter hat tatsächlich einen Brief bekommen. Er schreibt nicht viel, er schickt ihr eine Photographie. Köppen steht vor einem blutrot kolorierten Vorhang, der mit einer Troddel gerafft ist, daneben eine Balustrade, alles gemalt. Außer ihm ist nur der Stuhl echt, dessen Funktion in diesem Bild nicht zu ergründen ist. Aber die Nägel an seiner Lehne reden in einer stummen Sprache mit den drei Knöpfen an Köppens Uniformjacke. In einer Ateliersprache, die Köppen nicht versteht und ebensowenig der Photograph. Und Köppens Mutter und ich verstehen sie auch nicht. Was um alles in der Welt hat
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