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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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Köppen dazu gebracht, sich vor einem gerafften Vorhang photographieren zu lassen, vor einer Balustrade. Sicher, es war besser als einige andere Hintergründe, aber er hätte ja auch auf einen neutralen Hintergrund bestehen können. Er versteckt sich. Ich dachte, den Stich im Inneren, als ich den ersten Blick auf das Bild geworfen hatte, hätte ich gespürt, weil ich sein Gesicht wiedersah. Aber ich spürte ihn, weil ich es nicht sehen konnte. Die Augen lagen im Schatten der Brauen und ihr Blick war in einer Abwesenheit erstarrt, die ich an Köppen nicht kannte. Der Mund lächelte leicht, aber seine Linie war gerade, es war nur Höflichkeit, er wollte die Augen etwas ermuntern, aber die waren weit weg. Köppens Stirn war von der Mütze bedeckt, seine sprechende Stirn, ich weiß nicht, ob er sich bewußt war, wie deutlich sie sprach, wenn er schwieg. Alles war bedeckt. Nur seine linke Hand bloß. Wie einen Schild hielt Köppen die Schließe seines Koppels mit der linken Hand. Der Angsthand, die aufschreien will, weil ihr alles entgleitet, weil sie zugreifen wollte, und nun nestelt sie nur am Koppel, nestelt an der Erkennungsmarke nachts beim Wachen, nestelt an Handgranaten. Versteh meine Hände, versteh dieses Bild, sagt ihre eingefrorene Bewegung und zeigt die Schließe her. Ja, ich erkenne, was auf der Schließe steht, in ziselierter Schrift:
anima mea in angustus et anxius clamat
. Nein, ich erinnere mich bloß: Köppen steht verstockt vor der Klasse:
anima mea in angustus et anxius clamat.
Wiederholen Sie. Köppen ist stumm. Man hört aus dem Nachbarzimmer eine monotone Diktierstimme sich wiederholen und wiederholen: Haben Sie? Ich will, daß Sie diesen Satz sagen:
anima mea –
. Köppen wiederholt nicht. Setzen. Und er bleibt stumm, als wir ihn danach fragen: Warum hast du es nicht gesagt, es ist doch so einfach. Nein, es ist nicht einfach. Köppen hat den Satz aufgespart, er wußte nur noch nicht, wofür. Sein Mund spricht ihn immer noch nicht. Setzen. Aber seine linke Hand: Versteh doch, Mutter, meine Hand.
Prozeß
    Im November schließlich hatte Kollert etwas gefunden. Vater bekam eine Vorladung. Die Anzeige lautete auf grobe Fahrlässigkeit. Was Kollert gefunden hatte, war diesem Schreiben nach eine brennende Petroleumlampe mit zerbrochenen Scheiben neben Stroh und Werg auf dem Dachboden. Mutter atmete auf: früher oder später hatte es so kommen müssen, nun mußte man auf kein Unglück mehr warten, nun war es ja geschehen.
    Der Prozeß war gegenstandslos, wir wußten das. Wahrscheinlich wußten das alle bei der Verhandlung Anwesenden. Keine von Vaters Petroleumlampen hatte zerbrochene Scheiben. Mutter sagte: Aber das ist doch offensichtlich, da kann doch keiner sagen … Doch, da kann einer, es geht nicht um die Wahrheit. Vater sagte das mit beherrschtem Ingrimm. Hoffe lieber nicht. Präsumptionen, meine Lieben, Präsumptionen, Invektiven und Anwürfe. Es ist sehr entgegenkommend, daß sie sich überhaupt eine Geschichte ausgedacht haben, es delektiert mich durchaus, in diesen spielerischen Kriegstagen auch noch in einem Spiel mitmachen zu dürfen. Welch eine liebenswerte Nachhut menschlichen Sentiments, welch Luxus der Seele. Und es wird schließlich auch Zeit, Jan, daß wir uns unseren Tapferschaften im Osten und Westen anschließen. Hurra. Melde gehorsamst, es brennt an allen Ecken und Enden, bitte gehorsamst um Erlaubnis, zu größeren Bränden aufbrechen zu dürfen.
Grenzen
    Wintersonnenwende. Es ist noch kein Schnee gefallen. Aber ich kann ihn sehen, wie er über uns hängt in der gleichförmigen Farblosigkeit des Himmels. Ich kann ihn riechen in dem niedrig ziehenden Rauch aus den Essen. Und ich fühle ihn als feinen Schleier auf dem Gesicht. Es ist kurz vor dem Schnee, es ist wie im schmalen Durchgang der Zeit, zwischen den Mensuren der Sanduhr. Es ist wie auf dem Grat des Sommers. Das armierte Stahlblau der Weizenfelder im Juni. Der leuchtende Sieg unbeweglicher Truppen am Abend. Der Sieg der Defensive, und die roten Flecken nichts als Mohn. Grenzüberschreitungen: Raingrenze, Feldgrenze, Weggrenze, scharfer Umriß einer Gewitterfront. Grenzübertritt der Blicke: auf welchem Gebiet steht die Lerche hoch in der Luft? Lange Schatten streifen über die Demarkation. Mein Mund kostet das weiche Gras der anderen Seite. Meine Schattenhand reißt ein Blatt feindlichen Grases ab. Meine Finger umschließen die parallelnervigen Blätter. Der laute Pfiff alarmiert den gegnerischen Wald: mein Schatten greift

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