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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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komplizierter, ich mochte Stunden damit verbringen, mich in dieses Muster hineinzusehen. Aber sie war sehr flink. Einen kleinen Haufen frischer dunkler Erde hatte sie schon unterhalb des Eingangs aufgetürmt. Ich schob ihn mit der Schuhspitze zur Seite und trat ihn fest. Ich hatte Angst, sie könnte entdeckt werden. Es gab nicht viel Abwechslung hier, und sie würden sich einen Spaß daraus machen, ihren Nesteingang zu verstopfen. Ein Spaß von fünf Minuten in dem langen Warten auf das Auswechseln der Truppen. Aber es schien sie noch keiner bemerkt zu haben. Auch nicht, als sie schon seit ein paar Tagen fertig war mit dem Loch und zwischen unserem Unterstand und ihrem Nest hin- und herflog. Offenbar hörte niemand das Schaben am morschen Holz des vorderen Pfostens, den sie sich ausgesucht hatte. Sie war schon so weit, und wir lagen noch immer unbeweglich an der alten Linie. Wenn sie überlebte, würde sie in diesem Sommer einen ganzen Staat hervorbringen. Ich überlegte selbst, ob ich das Loch verstopfen sollte, wer weiß, wie lange wir noch hier würden liegen müssen. Zusammen mit fünftausend Wespen. Aber es war Krieg, und es war egal, was werden würde. Nur jetzt. Und jetzt hörte ich auf ihr tiefes Summen und war mit einer Deutschen Wespe in ein französisches Feld gegraben oder inmitten von Feldwespen hoch auf dem Dachboden und sah durch eine Luke auf die Stadt.
Zeitunglesen
    Vater sah ich immer seltener, trotz des eisigen Windes hielt er sich, außer zum Schlafen, fast nur noch auf dem Umgang auf. Selbst sein Essen nahm er an manchen Tagen mit hinaus. Mutter und ich sahen betreten aus dem Fenster auf seinen Teller. Die Kartoffeln dampften, Vater stieß mit abwesendem Blick seine Gabel in sie hinein. Ich blickte wieder auf meinen Teller, ich wollte diesen Vater nicht sehen, und auch Mutter versuchte abzulenken: Schmeckt es, Jan, tut mir leid, daß es nur Kartoffeln sind. Nein, nein, es schmeckt sehr gut. Der Wind drückte den Kartoffeldampf von außen ans Fenster, daß es beschlug. Natürlich dachten wir über Vater nach. In den nervösen Augusttagen hatte er angefangen, die meiste Zeit des Tages Zeitung zu lesen. Bis zum Erscheinen des Vorabendblattes hatte er gerade die Morgenausgabe beendet, um dann bis in die tiefe Nacht hinein darin weiterzulesen. Sehr gründlich tat er das, er las einen Abschnitt, dann sah er hoch, dachte nach, las wieder. Er las so unerbittlich Zeitung, wie er Baumbilder gemalt hatte, wie er Sanduhren gebaut hatte, wie er über den Obstbaumschnitt theoretisiert hatte. Ich wunderte mich, wie er so lange ein und dieselbe Seite lesen konnte, aber seine Energie dabei war mir von seinen früheren Beschäftigungen bekannt.
    Mit einemmal hörte Vater mit dem Zeitunglesen auf. Was ist, fragte Mutter beim Frühstück, willst du dir heute keine Zeitung kaufen? Nein, ich brauche sie nicht mehr. Mutter schluckte die Antwort, wer weiß, was sie dachte. Ich wollte sie nicht schlucken. In diesen Dingen, Kriegsdingen, wollte ich wissen, was in Vaters Kopf vor sich ging. Denn was den Krieg betraf, so hatte er uns in der Erfahrung gleich gemacht, Vater hatte keine längere Geschichte damit, ich war ebenso von Anfang an dabei. Ich blickte ihn herausfordernd an. Er merkte, daß ich mich diesmal nicht abschütteln ließ, er sah mich direkt an, und seine Augen waren unerträglich blau dabei. Du weißt, daß ich gegen diesen Krieg war, sagte er schließlich mit Bedacht. Ich war dagegen, weil ich mir vorstellte, wie lächerlich die Pickelhauben, die hektischen und ungeschickten Bewegungen, die schweren Geschütze, die Entfernung der Gräben voneinander und das Vorwärtsschieben der Frontlinie von hier oben gesehen wären. Schlag und Gegenschlag, kleine Finten und der enormste Aufwand für die kleinste Truppenbewegung. Jeden Tag muß der frische Fraß von ganz hinten nach ganz vorne gekarrt werden und in geducktem Laufschritt wieder zurück, das gierige Löffeln in den selbstgegrabenen Erdlöchern, ich habe mir das alles vorgestellt. Und ich habe mir vorgestellt, fügte er leiser hinzu, was alles ich mir nicht vorstellen könne, was in diesem Krieg möglich sei. Wie ein Mensch getroffen werden kann, es gibt unzählige Möglichkeiten, man kann es sich nicht vorstellen. Ich habe die Begeisterung für den Krieg nicht verstehen können. Aber ich wollte wissen, wie die Zeitungen es schaffen, das ganze Unternehmen nicht so erscheinen zu lassen, wie es mir erschien. Aus welcher Perspektive zeichneten sie das Bild:

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