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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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Türmer warst, daß du in diesen Stunden am Morgen ganz dicht an dem warst, was dich leuchten machte. Ja, hell leuchtend warst du an manchen Tagen, so daß Mutter und ich uns nicht zu dir gehörig fühlten, dabei hättest du uns sogar eingeschlossen in dein Strahlen. Aber wir haben den Grund nie verstanden, aus dem es kam, aus dem du es immer wieder erneuern konntest. Jetzt weiß ich, es waren Stunden wie diese und was du in denen gespürt hattest, war der warme Ton, der bei deinen Erklärungen über die Stadt und die ferneren Dörfer, das Land, das wir überblickten, mitschwang – den ich dir nicht zutrauen wollte. Ein einheimischer Ton war es, und ich kam mir mit einemmal fremd vor inmitten der Dinge, mit denen dich ein Geheimnis verband. Fremd, als hätten sie mich nicht für würdig befunden, sich zu offenbaren. Und sie taten recht daran, denn erst jetzt, wo ich nicht mehr auf dem Turm lebe, sehe ich ihre Wirklichkeit. Das ist auch ein Abschied: Echos Gestalt wird immer körperloser, schemenhafter, nur ihre Stimme ist noch da wie vorher.
Photograph
    Ich habe alles gesehen dort, ich weiß, daß ich mich nicht zur Front melden werde. Tapfer ist es, bei sich zu bleiben. Dafür habe ich die zwei Jahre auf dem Turm geschenkt bekommen, daß ich lerne, was Bei-mir-sein heißt. Dafür habe ich Echo geschenkt bekommen. Hier oben aber kann ich auch nicht bleiben, ich will unten etwas anfangen. Das Photographieren lernen und farbige Photographien von der Front machen. Ich möchte den Blick weiterführen, den ich hier oben eingeübt habe: gleichzeitig auf beide Seiten einer Häuserreihe sehen zu können, gleichzeitig den Rand der Stadt und das Zentrum im Auge zu haben, gleichzeitig vom Graben in den Himmel zu sehen und vom Himmel auf die Stadt. Durch die Ähnlichkeit der farbigen Bilder mit der farbigen Wirklichkeit die feinen Linien der Verbindung zu sehen, der Verbindung der Brauntöne der Front mit dem Hinterland, der Verbindung der Schattierungen eines Schlachtfeldes mit den lieblichen Hügeln um die Stadt. Ich muß mit Echo sprechen, ihr das alles sagen, auch wenn sie mir fast nicht mehr wirklich scheint.
Schwinden
    Es war seltsam mit ihr, ich konnte Echo nicht mehr berühren. Ich sah sie undeutlicher von Tag zu Tag, manchmal gar nicht mehr. Wenn, dann saß sie in immergleicher Haltung am Fenster, mit dem Rücken zu mir, die Arme um die Knie geschlungen. Ich versuchte, mich an ihr Gesicht zu erinnern, das ich mir immer so leicht vorstellen konnte. Aber es waren nur noch Augen, Mund, Nase, es fügte sich nicht mehr zu eigenen Zügen. Sie war nicht mehr schelmisch und nicht mehr zornig, sie war nicht mehr verwirrend, sondern glich immer mehr einem Abbild ihrer selbst. Was blieb, war das Gespräch mit ihr, indirekt, als stünde sie hinter mir. Ich drehte mich in den ersten Wochen noch manchmal um, um von ihrem Anblick, von ihrer Haltung, ihrer Miene überrascht zu werden, aber die Stelle war leer und die Stimme kam von einer anderen Seite. Ich fragte sie: Echo, was ist das, ich kann dich nicht mehr spüren. Das ist so, Jan, antwortete sie immer auf diese Frage, egal wie ich sie stellte. Das ist so, Jan. Kein Grund, keinen ihrer Gedanken, nur diesen Satz und die Worte blieben ganz leer. Ich rufe ihren Namen: Echo. Aber sie erwidert nichts. Erst als ich zum Ausgang gehe und gegen die Gewißheit kämpfe, daß dieser Ort mir nichts mehr bedeutet, höre ich sie noch einmal: Geh jetzt, Jan. Ihre Stimme ist meine.
    Wenige Tage später, am 22. April 1915, erreicht die Familie Facher der Einberufungsbefehl für den Türmer Johann Facher und seinen Sohn Jan mit der Begründung, ein Türmer, welches selbstredend auch für seinen Sohn in der Eigenschaft als Beiwächter gelte, sei aufgrund der besseren Meldesysteme nicht mehr vonnöten. Binnen einer Woche seien der Turm und alle von den Fachers benutzten Nebengelasse zu räumen.
    Jans Vater wurde dem XXXXI. Reservekorps der 11. Armee bei Gorlice in Westgalizien eingegliedert. Jan hingegen kam an die Westfront, in das XXIII. Reservekorps der 4. Armee bei Ypern.
22. April
    Ich gehe noch einmal auf den Dachboden: aus dem Küchenfenster höre ich das Murmeln meiner Mutter. Etwas aus ihrer Kindheit, wo man die Dinge im Kopf behielt. Wo man nicht vergessen mußte. Ich sehe sie sitzen, wie ich sie oft habe sitzen sehen: keiner Ungeduld um einen Gedanken voraus, mit keiner Träumerei einem Wort hinterher. Jedes Wort wie eine Rosenkranzperle aus dem Dunkel des Mundes über die Lippen rollend

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