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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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konnte mir egal sein, ich suchte nur eine Geschichte: ein Mann, der auf dieselbe Frage des Check-in-Personals ohne zu überlegen den Gangplatz gewählt hatte, denn es waren durchaus noch andere Plätze frei. Daraus ließ sich nun einiges folgern, um aber ein kommensurables Bild seiner Person zu bekommen, entschied ich mich dafür, ihn für einen Menschen zu halten, dem der Mittelplatz selbstverständlich zu eng und der Fensterplatz zu verantwortungsvoll ist. Er mag es nicht, die Blicke seiner zwei Nachbarn im Nacken sitzen zu haben, bei Start und Landung. Überhaupt mag er es nicht, das alles sehen zu können, denn er fühlte sich immer delegiert, die mit dem Fensterplatz verbundenen Eindrücke aufzunehmen und wem auch immer Rechenschaft abzulegen. Nein, auch der Anblick der schrägen Landschaft, des Blicks über die Stadt, auf sein Haus war ihm unangenehm. Dann mochte er schon lieber das Angebot der Fluggesellschaft wahrnehmen, sich ganz wie zu Hause in seinem Sessel zu fühlen, ohne an die rasend schnelle Ortsveränderung denken zu müssen. Vor Ort wäre es früh genug, sich die Gegend anzusehen. Und schließlich bittet man nicht jeden gern, aufzustehen, wenn man sich einmal kurz entschuldigen muß. Ob er der Richtige für meine Zwecke war, weiß ich nicht zu sagen, ich wollte nur eben die erstbeste Geschichte, einen Grund für meine Reise.
Ianna
    Es war schon Mittag, und ich kann mich nicht erinnern, etwas anderes getan zu haben, als aus dem Fenster zu sehen. Da gab es nichts zu sehen, zumindest vom Bett aus sah man nur wolkenlosen Himmel. Aber erst als es wie mit Bachstelzenfüßen an der Tür klopfte, fiel mir die Sinnlosigkeit meiner Beschäftigung auf. Wie rechtfertigt man eine solche Situation: noch immer verschwitzt von der Reise auf dem Bett zu liegen und in den Himmel zu starren. Und wer kann mich treffen wollen, mitten in Belgrad. Trotzdem freute ich mich, denn augenblicklich war mir, als hätte ich vieles mitzuteilen. Ich stand auf und sagte mit lauter Stimme: Ja. Diese Türen hatten, wie mir gleich aufgefallen war, Klinken, und gar nicht zaghaft trat die Frau von der Rezeption ein. Ich ging ein paar Schritte auf sie zu, um ihr zu Hilfe zu kommen, denn sie balancierte einen Stapel Bettwäsche, Handtücher und Decken auf dem linken Arm. Geben Sie her, ich muß Ihnen etwas zeigen, mit diesen Worten hatte ich ihr auch schon den Stapel vom Arm genommen und war damit zum Fenster gelaufen: Na, wo ist er denn jetzt, hier saß eben ein Vogel, den ich noch nie gesehen habe, vielleicht hätten Sie ihn gekannt. In der kleinen Pause, die nun entstand, wurde mir bewußt, daß ich ihr gerade auf unhöfliche Weise die Wäsche abgenommen hatte, mit der ich jetzt grundlos vor dem Fenster stand. Aber sie war über meine Forschheit weniger erstaunt als ich selbst und fragte mich interessiert, wie er denn ausgesehen habe. Ich hatte nicht mehr den Mut, die angefangene Rolle durchzuhalten. Ich wollte nur noch ehrlich sein, auf die Gefahr hin, alles andere als ihr Typ zu sein. Eigentlich wie eine gewöhnliche Straßentaube, sagte ich und versuchte dabei unauffällig ihr Namensschild zu lesen. Arme Ianna, jetzt mußte sie uns aus dieser Peinlichkeit helfen. Ihr gelang es aber gut, sie erklärte mir, daß die Belgrader Tauben tatsächlich von der altslawischen Urtaube abstammten. Überhaupt schien sie nur wegen dieses albernen Dialogs gekommen zu sein. Denn jetzt erinnerte sie sich, daß sie wieder nach unten mußte, und während ich noch ratlos mit der Wäsche vor dem Fenster stand, war sie schon zur Tür hinaus. Ich war mir überaus unsicher darüber, was sie von mir dachte. Die Frauen hier, das war mir schon auf dem Weg zum Hotel aufgefallen, funktionierten eben ganz anders. Ich hatte dumpf das Gefühl, auch ich müßte mich ändern, um hier leben zu können. Eigentlich hatte ich damit schon begonnen. Aber seit wann wollte ich denn hier leben, ich war ja gestern erst gekommen. Ich schlich über den nach Schweißsocken, Kaffee, Linoleum und Putzmittel riechenden Flur zum Waschraum: es war nicht zu spät, den Tag anzufangen. Überhaupt war es nicht zu spät.
Schwalben
    Die Schwalben wollen mir mit ihren Bögen die Verbindungen in der Stadt erklären, aber ich verstehe sie nicht. Ich habe mir einen Stuhl ans Fenster gerückt, die Abendsonne scheint herein. Die Stadt unten liegt schon im Dunkel, fahl und flach ist sie in ihr Bett gesunken, nachdem die Fassaden noch einmal aufgeglüht waren wie an allen drei Abenden seit meiner

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