Tuermer - Roman

und es auf den Boden springen lassend. Es rollt fort, das nächste folgt ihm nach. Das Holz ist alle, der Herd kalt. Auf einer Gasflamme steht, als würde er nicht dazugehören, ein zugedeckter Topf, aus dem Dampf quillt. Mutter sieht vor sich hin und murmelt immer den gleichen Text. Mutter, was machst du da? Ich warte, bis die Eier genauso gekocht sind, wie du sie gerne ißt, Jan, antwortet ihre Stimme. Sie mißt die Zeit, höre ich Vater sagen, indem sie spricht. In die staubige Ordnung der Balken sage ich: Ich muß jetzt gehen, ich esse sie, wenn ich zurückkomme. Mutter schließt das Küchenfenster. Die Krähen stieben auf. Große Saatkrähen sind es, die ironisch auf Augenhöhe über die flandrischen Felder stolzieren.

Michael Thurner

Hotel
    Mein Zimmer liegt hoch über der Stadt. Wie bin ich eigentlich hierhergekommen? Warum hatte die junge Frau an der Rezeption dieses Zimmer überhaupt erwähnt, es war zu sehen, daß ich genug Geld habe für eines der unteren. Dann haben wir oben noch Zimmer, hatte sie gesagt, im neunten Stock, die sind um diese Zeit noch ungeheizt und Sie müssen zu Fuß hochgehen. Die sind aber auch billiger, setzte sie zur Begründung dieser ungewünschten Auskunft hinzu. Als ich nichts entgegnete, fragte sie, unsicher und etwas ungeduldig, also bleibt es dabei, daß Sie die Zweihundertelf nehmen. Nein, ich möchte lieber eines der oberen. Der billigeren, setzte ich als Erklärung hinzu. Es schien sie zu freuen, und sie erledigte jetzt, zufrieden und ohne ein weiteres Wort über meine Wahl zu verlieren, die nötigen Verrichtungen, gab mir ein Formular und einen Stift, prüfte meinen Paß und suchte mir aus einer Kiste im Schlüsselschrank den Schlüssel heraus. Bevor sie ihn mir gab, schien ihr doch noch etwas auf dem Herzen zu liegen, und ich wartete höflich, bis sie, wieder ohne daß ich verstand, warum, sagte: Sie werden sich wie ein Adler fühlen. Und dabei lächelte sie charmant, fächerte die Finger und breitete ihre Arme wie im Gleitflug aus. Ließ sie aber gleich wieder sinken, etwas beschämt über ihre gestikulierende Geschwätzigkeit. Ihre Unbeholfenheit rührte mich, warum wollte sie mir das überhaupt sagen. Ich grübelte im Weggehen noch darüber nach, hatte aber keine Idee und gab mich mit dem Gedanken zufrieden, daß Sie mir vielleicht noch einmal ihr gutes Englisch vorführen wollte, obwohl sie diesen Eindruck eigentlich nicht machte. Frauen waren rätselhafte Geschöpfe, ein bißchen unlogisch.
    Ich stieg die endlosen Stufen nach oben und faßte noch einen Vorsatz: beim nächsten Mal wollte ich sie zählen. Das Zimmer ist eng und etwas schmutzig, ich hätte, weiß Gott, das Geld gehabt … Aber nun ist es so, und ewig werde ich hier nicht bleiben. Ich lasse mich auf das Bett fallen und sehe an die Decke.
Struckmann
    Was um alles in der Welt mache ich hier. Ich wiederhole es mir: Was um alles in der Welt – aber es ist nicht wichtig. Ich müßte nur darüber nachdenken, welchen Ort es sonst gäbe, für mich, jetzt. Warum nicht Belgrad. Warum nicht dieses Hotel. Ich hatte mir eine Visitenkarte geben lassen: Jan Struckmann, Key Account Manager der Firma SisTel. Ich hatte es mir nicht vorstellen können, wie ich auf einem Flug von einer guten Stunde eine Geschichte aus einem der Fluggäste herausbekommen sollte, die groß genug war, auch mich noch unterschlüpfen zu lassen und klein genug, um sich mir anzuschmiegen. Nicht allein … neben einem Herrn … oder lieber noch zwischen zweien … Unter dem irritierten Blick der Frau am Check-in hatte ich meine Wünsche bezüglich des Sitzplatzes nicht weiter präzisiert. Das klang ja alles zum mindesten wunderlich, jeder will allein sitzen, und zwar entweder am Fenster oder am Gang, auf keinen Fall auf einem Mittelsitz, schon gar nicht zwischen zwei Herren, und im übrigen sollte das sowieso egal sein. Aber das Nachdenken über Fluggäste, wer weiß, wie sie die im stillen nannte, hatte sie sich bestimmt schon vor längerem abgewöhnt. Ich kam also eine Stunde später neben einem gediegen gekleideten älteren Herrn zu sitzen, der seinen Beschäftigungen und seiner Lektüre zufolge ein spezifisches, und zwar ein kulturelles Interesse an dieser Reise hatte. Sehr sympathisch, kam er aber für meine Zwecke nicht in Frage. Verheißungsvoller hingegen der auf dem Platz am Gang sitzende Mann namens Jan Struckmann, wie ich später erfuhr. Daß er den Gangplatz gewählt hatte, war also war meine erste Auskunft, ob sie stimmte oder nicht,