Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
sie fast eingeschlagen hätte. Besorgt zuckte Dr. Burrows bei jedem Schlag zusammen. Schließlich erschien eine junge Frau in der Tür, deren Gesicht sich aufhellte, als sie ihren Vater sah.
»Hallo, Dad. Du hast ihn also überreden können herzukommen.« Mit einem verlegenen Lächeln wandte sie sich an Dr. Burrows. »Bitte kommen Sie herein. Am besten gehen wir direkt in die Küche. Da herrscht zwar noch ein furchtbares Durcheinander, aber dann kann ich uns auch einen Tee kochen«, sagte sie und schloss die Tür hinter ihnen.
Dr. Burrows folgte Rübennasen-Joe über die staubige Malerplane im unbeleuchteten Flur, dessen Tapeten bereits zur Hälfte von den Wänden gekratzt waren.
In der Küche wandte Rübennasen-Joes Tochter sich erneut an Dr. Burrows. »Wie unhöflich von mir; ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Penny Hanson. Ich glaube, wir sind uns schon mal begegnet.« Stolz betonte sie ihren neuen Nachnamen. Einen peinlichen Augenblick lang schaute Dr. Burrows sie dermaßen verwirrt an, dass sie vor Verlegenheit knallrot wurde, etwas murmelte und sich rasch dem Tee widmete. Dann sah er sich, völlig gleichgültig gegenüber ihrem Unbehagen, den Raum etwas genauer an. Die Küche war vollkommen entkernt und der Putz bis auf das nackte Mauerwerk entfernt worden, und an einer Seite befand sich ein neu installiertes Spülbecken mit einer Reihe halb fertiger Küchenschränke.
»Wir dachten, es wäre eine gute Idee, den Kaminmantel zu entfernen, damit wir dort mehr Platz für eine Frühstückstheke haben«, sagte Penny und zeigte auf die Wand gegenüber der Spüle. »Der Architekt meinte, wir müssten nur einen Stützbalken anbringen.« Sie deutete auf ein gähnendes Loch in der Decke, in der Dr. Burrows den neu eingezogenen Stahlträger erkennen konnte. »Aber als die Bauarbeiter das alte Mauerwerk weggeschlagen haben, fiel die ganze hintere Wand in sich zusammen. Und dann haben wir das hier entdeckt. Ich hab sofort unseren Architekten angerufen, aber er hat sich noch nicht zurückgemeldet.«
Auf der Rückseite des Rauchfangs zeigte ein Haufen rußgeschwärzter Ziegelsteine, wo sich die Kaminwand befunden hatte. Durch das Entfernen dieser Mauer war eine dahinter liegende, ziemlich große Nische zum Vorschein gekommen, eine Art Eremitenhöhle.
»Das ist ja merkwürdig. Ein zweiter Schornsteinzug?«, wunderte sich Dr. Burrows und beantwortete seine Frage selbst, indem er sofort den Kopf schüttelte und mehrmals Nein-nein-nein murmelte. Er trat näher heran und schaute nach unten. Im Boden befand sich eine Öffnung von etwa einem Meter mal einem halben Meter Größe.
Vorsichtig stieg er über die losen Ziegelsteine, hockte sich an den Rand des Schachts und schaute hinein.
»Äh … hätten Sie vielleicht mal eine Taschenlampe?«, fragte er. Nachdem Penny die gewünschte Lampe geholt und ihm gegeben hatte, dirigierte er den Lichtstrahl in die Öffnung. »Ziegelauskleidung, frühes achtzehntes Jahrhundert, würde ich mal sagen. Allem Anschein nach zum gleichen Zeitpunkt errichtet wie das Haus«, murmelte er vor sich hin, während Rübennasen-Joe und seine Tochter ihn aufmerksam beobachteten. »Aber wozu, zum Teufel, soll das Ganze dienen?«, fügte er hinzu. Besonders merkwürdig erschien ihm, dass er auch bei genauestem Hinsehen den Boden des Schachts nicht erkennen konnte. »Haben Sie schon getestet, wie tief das Ding ist?«, wandte er sich an Penny und richtete sich auf.
»Nein, womit auch?«, erwiderte sie schlicht.
»Kann ich mir den hier mal ausleihen?« Dr. Burrows nahm einen rauen Halbziegel von dem Ziegelsteinhaufen der zusammengestürzten Kaminwand. Als Penny nickte, wandte er sich wieder dem Loch zu und blieb einen Moment reglos stehen, um den Stein hineinfallen zu lassen.
»So, und jetzt alle mal zuhören«, sagte er und öffnete die Hand. Sie hörten, wie der Ziegel beim Fallen gegen die Schachtwände prallte; das Geräusch wurde leiser und leiser, bis nur noch ein weit entferntes Echo an Dr. Burrows’ Ohr drang, der sich an den Rand der Öffnung gekniet hatte.
»Ist er schon …?«, setzte Penny an.
»Shhh!«, zischte Dr. Burrows ungehalten und riss die Hand so ruckartig hoch, dass Penny zusammenzuckte. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah Rübennasen-Joe und Penny stirnrunzelnd an. »Ich habe nicht hören können, dass der Stein aufgekommen ist, nur dass er ewig lang gegen die Seitenwände zu schlagen schien«, sagte er. »Aber wie … wie kann der Schacht so tief sein?«
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