Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
Augen. »Also, kommst du nun mit … oder gehst du zurück und bekämpfst Ratten?«
Diese Aussicht reichte Chester völlig – umgehend stieg er in den Aufzug. Will schob das Scherengitter hinter ihm zu, legte den Hebel um und hielt ihn nach unten gedrückt, wodurch sich der Fahrstuhl erneut ruckelnd in Bewegung setzte und in die Tiefe hinabrumpelte. Durch das Gitter des Aufzugskorbs konnten die beiden Jungen sehen, wie das gedämpfte Braun, Schwarz und Grau des Gesteins langsam an ihnen vorüberzog, nur gelegentlich unterbrochen von den dunklen Öffnungen anderer Ebenen.
Eine klamme Brise umwehte sie, und nach einer Weile richtete Chester den Lichtschein seiner Taschenlampe durch das Gitter über ihnen hinauf in den Schacht zu den Kabelsträngen, die wie zwei schmutzige Laserstrahlen in der Tiefe des Weltraums verschwanden.
»Was meinst du, wie weit runter geht der Schacht?«, fragte Chester.
»Woher soll ich das wissen?«, erwiderte Will schroff.
Tatsächlich dauerte es fast fünf Minuten, bis der Aufzug schließlich so abrupt und ruckartig anhielt, dass die Jungen gegen das Gitter des Korbs geworfen wurden.
»Vielleicht hätte ich den Hebel einen Moment früher loslassen sollen«, sagte Will kleinlaut.
Chester warf seinem Freund einen müden Blick zu, als wollte er sagen, dass das nun auch keine Rolle mehr spielte. Sie rappelten sich auf, und ihre Helmlampen warfen riesige rautenförmige Schatten durch das Gitter des Aufzugskorbs an die dahinter liegenden Wände.
»Auf ein Neues«, seufzte Chester und schob das Absperrgitter beiseite. Will drängte sich ungeduldig an ihm vorbei in eine weitere metallverkleidete Kammer und hastete zur Tür an deren Ende.
»Der hier ist genau wie der Raum weiter oben«, stellte er fest und brachte die drei Griffe an der Tür, auf der eine große Null prangte, in die richtige Stellung.
Zögernd betraten sie den dahinter liegenden zylindrischen Raum. Ihre Schritte hallten auf dem längs gerillten Metallboden und im Schein ihrer Taschenlampen erkannten sie eine weitere Tür.
»Sieht ganz so aus, als wäre dies der einzige Ausgang«, sagte Will und marschierte darauf zu.
»Das Ganze erinnert mich irgendwie an ein U-Boot«, murmelte Chester, »an Luftschleusen.«
Will stellte sich auf die Zehenspitzen und bemühte sich, durch das kleine Bullauge zu schauen, doch er konnte nichts erkennen. Als er versuchte, mit der Taschenlampe hindurchzuleuchten, brach sich der Lichtschein an der Schmutzschicht und den zahlreichen Kratzern auf dem alten Glas, und er konnte noch weniger sehen.
»Zwecklos«, sagte er leise.
Dann reichte er Chester seine Lampe, drehte die drei Griffe nach oben und drückte gegen die Tür. »Sie klemmt!«, knurrte er. Er versuchte es erneut – wieder vergebens. »Willst du mir nicht mal helfen?«, forderte er schließlich seinen Freund auf.
Chester stellte sich neben ihn, und gemeinsam stemmten sie sich mit aller Kraft gegen die Tür. Plötzlich gab diese mit einem lauten Zischen und einem heftigen Luftstoß nach, und die beiden Jungen fielen strauchelnd ins Unbekannte.
Als sie wieder auf die Beine kamen und sich aufrichteten, stellten sie fest, dass der Untergrund nicht mehr aus Metall, sondern aus Kopfsteinpflaster bestand. Und um sie herum entfaltete sich eine Szenerie, von der beide sofort wussten, dass sie sie wohl nie mehr vergessen würden.
Vor ihnen lag eine Straße.
Sie befanden sich auf einer ausgedehnten Fläche, die fast so breit wie eine Autobahn war und sich links und rechts von ihnen in der Ferne verlor. Auf der gegenüberliegenden Seite erkannten sie eine Reihe hoher Laternen, die die Straße beleuchteten.
Doch das, was sie jenseits der Lampen am anderen Ende der riesigen Höhle entdeckten, verschlug ihnen wirklich den Atem. Dahinter ragten Häuser auf, soweit das Auge reichte.
Wie in Trance gingen Will und Chester auf diese Erscheinung zu. In dem Moment krachte hinter ihnen die Tür der Luftschleuse mit solcher Wucht zu, dass sie erschrocken herumwirbelten.
»Durchzug?«, fragte Chester seinen Freund verblüfft.
Will zuckte nur die Achseln – er verspürte tatsächlich einen leichten Luftzug im Gesicht. Er legte den Kopf in den Nacken, schnupperte mehrmals und sog den feucht-muffigen Geruch ein, der in der Luft hing. In der Zwischenzeit richtete Chester den Lichtstrahl seiner Taschenlampe auf die Tür und die darüber liegende Wand aus riesigen Steinblöcken. Dann ließ er den Lichtschein weiter hinaufwandern, höher und höher.
Weitere Kostenlose Bücher