Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
Chester hielten einen Moment inne; Adrenalin schoss durch ihre Adern, als sie ihre Lampen auf den dunklen Raum richteten, der vor ihnen lag. Sie waren beide in höchster Alarmbereitschaft und gewillt, sofort zu fliehen, aber als sie nichts Verdächtiges hörten oder sahen, stiegen sie mit angehaltenem Atem über die am Boden befestigte Metallschiene des Türrahmens. Ihr Herzschlag pochte laut in ihren Ohren.
Der Lichtschein ihrer Taschenlampen zuckte unruhig durch den Raum. Sie befanden sich in einer fast zylindrischen Kammer, die etwa zehn Meter lang war und über den gesamten Bereich tiefe Rillen aufwies. Vor sich erkannten sie eine weitere Tür, nahezu identisch mit der, durch die sie gerade gekommen waren – nur mit einem kleinen Unterschied: Sie besaß eine runde milchige Glasscheibe in einem Nietrahmen, fast wie ein kleines Bullauge.
»Sieht aus wie eine Art Luftschleuse«, konstatierte Will, während er in die Kammer hineinging. Seine schweren Arbeitsschuhe dröhnten dumpf auf dem längs gerillten Eisenboden. »Nun komm schon«, drängte er Chester unnötigerweise, der ihm gefolgt war, die Tür jetzt hinter ihnen zuzog und die drei Griffe wieder in die ursprüngliche Stellung zurückbrachte.
»Wir sollten besser alles so zurücklassen, wie wir es vorgefunden haben«, erklärte er. »Man weiß ja nie.«
Nachdem Will erfolglos versucht hatte, durch das trübe Bullauge zu schauen, drehte er die Griffe am zweiten Durchgang nach oben und stieß die Tür auf. Im nächsten Moment ertönte ein leises Zischen, als würde Luft aus einem Reifenventil entweichen. Chester warf Will einen fragenden Blick zu, den dieser jedoch ignorierte. Stattdessen erkundete er den angrenzenden Raum. Die Wände der quadratischen, etwa drei mal drei Meter großen Kammer erinnerten an den Kiel eines alten Schiffs – ein Patchwork aus rostigen Metallplatten, die von derben Schweißnähten zusammengehalten wurden.
»Hier steht eine Nummer«, bemerkte Chester, als er die Griffe der zweiten Tür wieder verriegelte. Unterhalb des trüben Bullauges war eine große Fünf aufgemalt, deren vergilbte Farbe an den Rändern abblätterte.
Vorsichtig bewegten die Jungen sich vorwärts. Ihre Lichter trafen auf ein Objekt vor ihnen – ein Gitter aus miteinander verwobenen Metallstreben, das vom Boden bis zur Decke reichte und ihnen den Weg vollständig versperrte. Wills Taschenlampe warf zuckende Schatten auf die Oberflächen hinter dem Hindernis, während er mit einer Hand gegen das Gitter drückte. Doch die Absperrung war solide und gab nicht nach. Er steckte die Lampe weg, umfasste das klamme Gitter mit beiden Händen und zog sich dicht heran.
»Ich kann die Wände sehen … und ich glaube, auch die Decke, aber …«, setzte er an und drehte den Kopf in alle Richtungen, »aber der Boden ist …«
»Ganz weit unten«, ergänzte Chester, dessen Helm am Gitter entlangscheuerte, während er sich um eine bessere Sicht bemühte.
»Ich kann dir versichern, dass auf den alten Stadtplänen nichts auch nur annähernd Vergleichbares eingezeichnet ist. Oder glaubst du, ich hätte so was übersehen?«, sagte Will, als wollte er jeden Selbstzweifel an seinen Fähigkeiten zerstreuen.
»Nein … Warte mal, Will! Sieh dir mal die Kabel an!«, rief Chester, dessen Blick auf die dicken matten Kabelstränge hinter dem Gitter gefallen war. »Das ist ein Fahrstuhlschacht«, fuhr er begeistert fort. Seine Laune stieg schlagartig bei dem Gedanken, dass sie es hier nicht mit etwas Unerklärlichem und Bedrohlichem zu tun hatten, sondern mit einem vertrauten Alltagsgegenstand. Ein Fahrstuhlschacht! Seit sie die relative Normalität des Kellers im Haus der Burrows’ hinter sich gelassen hatten, fühlte Chester sich zum ersten Mal wieder sicher, denn er stellte sich vor, dass der Schacht zu einem ganz gewöhnlichen Ort wie einem U-Bahn-Tunnel oder etwas Ähnlichem führen musste. Einen Moment lang gab er sich sogar der Hoffnung hin, dass dies vielleicht das Ende ihrer übereilten Expedition bedeuten könnte.
Chester schaute nach rechts und entdeckte einen Griff, den er entschlossen packte und zur Seite drückte. Laut quietschend setzte sich das Scherengitter in Bewegung. Überrascht trat Will einen Schritt zurück: In seiner Eile war ihm entgangen, dass es sich bei dem Absperrgitter um eine Art Schiebetor handelte. Nachdem Chester es vollständig zur Seite gerollt hatte, bot sich ihnen ein ungehinderter Blick auf den gähnenden Abgrund. Ihre Helmlampen tanzten über
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