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Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Titel: Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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aufgerissen, und der Styx leuchtete mit einer Messinglaterne ins Innere der Kutsche. Er ließ den Lichtstrahl über ihre Gesichter streifen und wandte sich dann dem Kutscher zu, der ihm ein Stück Papier reichte. Nachdem er einen flüchtigen Blick darauf geworfen hatte, schien er zufrieden und widmete sich erneut den beiden Jungen. Ein weiteres Mal leuchtete er Will mit dem blendenden Lichtstrahl direkt in die Augen und schnaubte verächtlich. Dann reichte er dem Kutscher das Dokument zurück, gab dem Torwächter ein Zeichen und warf die Tür krachend zu.
    Als Will ein lautes Rasseln hörte, hob er den Saum des Vorhangs vorsichtig ein wenig an und blinzelte hinaus. Während der Torwächter sie durchwinkte, konnte Will im Schein der Laternen erkennen, dass das Tor von einem Fallgitter versperrt wurde. Er sah zu, wie es ruckelnd in einem Gemäuer verschwand, das ihn vor Erstaunen die Augen aufreißen ließ: Die aus einem hellen Stein gemeißelte Konstruktion stellte einen riesigen, zahnlosen Totenkopf dar.
    »Ziemlich gruselig«, murmelte Will leise.
    »Das soll es auch sein. Als Warnung«, erwiderte Cal gleichgültig. Der Kutscher schwang erneut die Peitsche und das Fuhrwerk rumpelte durch die Mundöffnung des Furcht einflößenden Torbaus in die dahinter liegende Höhle.
    Will lehnte sich aus dem Fenster und sah, wie das Fallgitter hinter ihnen wieder herabratterte, bis ihm eine Biegung des Tunnels die Sicht darauf versperrte. Dann nahmen die Pferde erneut Geschwindigkeit auf. Die Kutsche bog um eine Ecke und schoss einen steilen Abhang hinab in einen gewaltigen Tunnel, der in den dunkelroten Sandstein gehauen und vollkommen unbebaut war – hier gab es kein einziges Gebäude. Dafür veränderte sich die Luft in dem steil abwärtsführenden Schacht: Es begann, nach Rauch zu riechen, und das allgegenwärtige Hintergrundbrummen nahm dermaßen an Lautstärke zu, dass es die Kutsche förmlich zum Vibrieren brachte.
    Schließlich bogen sie erneut um eine scharfe Kurve; das Dröhnen ließ nach und die Luft wurde wieder sauberer. Cal setzte sich zu Will ans Fenster, und im nächsten Moment öffnete sich vor ihnen eine enorme Ebene. Auf beiden Seiten der Straße ragten hohe Gebäude auf, über denen ein Labyrinth aus Ziegelsteinschächten die Höhlenwände hinaufkroch wie angeschwollene Krampfadern. In der Ferne spuckten dunkle Schornsteine kalte blaue Flammen und senkrechte Rauchwolken in die Luft, die langsam bis an die Höhlendecke stiegen. Dort sammelte sich der Rauch und bildete kleine, langsame Wellen wie eine sanfte Dünung an der Oberfläche eines hängenden braunen Ozeans.
    »Das ist die Kolonie«, setzte Cal an, der sich neben Will gedrängt hatte.
    Doch Will starrte nur verwundert aus dem Fenster und wagte kaum zu atmen.
    »Das ist unser Zuhause.«

24
    Etwa zur selben Zeit, als Will und Cal beim Haus der Familie Jerome eintrafen, stand Rebecca geduldig neben einer Mitarbeiterin vom Jugendamt im dreizehnten Stock des Mandela Heights, eines trostlosen Hochhauses in einem heruntergekommenen Viertel von Wandsworth. Die Sozialarbeiterin klingelte bereits zum dritten Mal an der Haustür der Wohnung Nr. 65, jedoch ohne Erfolg. Rebecca sah sich in dem dreckigen Korridor um. Der Wind pfiff mit einem tiefen, reumütigen Heulen durch die zerbrochenen Scheiben im Treppenhaus und ließ die halb gefüllten Müllbeutel, die sich in einer Ecke stapelten, leise rascheln.
    Rebecca erschauderte, aber nicht nur wegen des kalten Windes, sondern vor allem deshalb, weil man sie an einem Ort abliefern wollte, den sie für einen der schrecklichsten der Welt hielt.
    Inzwischen hatte die Sozialarbeiterin es aufgegeben, auf die schmierige Türklingel zu drücken, und pochte nun laut gegen die Tür. Auch darauf reagierte niemand, obwohl man aus dem Inneren der Wohnung deutlich den Fernseher plärren hören konnte. Ein weiteres Mal hämmerte sie eindringlich gegen die Tür und hielt dann abrupt inne, als sie endlich ein Husten und die keifende Stimme einer Frau hörte.
    »Is ja gut, is ja gut, Herrgott noch mal!«
    Die Sozialarbeiterin wandte sich Rebecca zu und versuchte, aufmunternd zu lächeln, brachte aber nur eine mitleidige Grimasse zustande.
    »Sieht so aus, als wäre sie doch da.«
    »Na prima«, erwiderte Rebecca sarkastisch und nahm ihre beiden kleinen Koffer.
    Betreten schweigend warteten sie, während die Tür mit viel Gefummel aufgeschlossen und eine Kette entfernt wurde, begleitet von Flüchen und Verwünschungen und einem

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