Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Titel: Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
Vom Netzwerk:
stiegen.
    »Sie wäre sehr, sehr stolz auf dich gewesen«, sagte Großmutter Macaulay. »Du warst ihr Erstgeborener.« Sie deutete mit dem Kopf zum Kaminsims. »Würdest du mir bitte mal das Bild reichen – das da, in der Mitte?«
    Will stand auf, um die vielen Fotografien in den unterschiedlich großen Rahmen zu betrachten. Von den abgebildeten Personen erkannte er auf den ersten Blick niemanden; einige grinsten fast grotesk und andere zogen ein extrem ernstes Gesicht. Aber sie alle besaßen die gleiche ätherische Ausstrahlung wie die Menschen auf den Daguerreotypien – den alten Fotografien mit den geisterartigen Porträts von Personen aus einer fernen Vergangenheit, die er im Museum seines Vaters in Highfield gesehen hatte. Er kam dem Wunsch der alten Dame nach und griff nach dem größten Foto, das mitten auf dem Kaminsims thronte. Als er erkannte, dass es Mr Jerome und eine jüngere Version von Cal zeigte, zögerte er.
    »Ja, genau das meine ich«, bestätigte die alte Dame.
    Will reichte ihr das Bild und sah zu, wie sie es umdrehte, sich auf den Schoß legte, dann die Halterungen des Rahmens löste und die Rückseite abnahm. Darunter kam ein weiteres, verborgenes Foto zum Vorschein, das sie mit den Fingernägeln herausfischte und Will kommentarlos überreichte.
    Will hielt das Bild ins Licht und betrachtete es eingehend. Das Foto zeigte eine junge Frau in einer weißen Bluse und einem langen schwarzen Rock. In ihren Armen hielt sie ein kleines Bündel. Ihre Frisur leuchtete strahlend weiß, genau wie Wills Haare, und sie hatte ein wunderschönes, ausdrucksstarkes Antlitz, mit gütigen Augen, feinen Gesichtszügen, einem vollen Mund und einem kräftigen Kinn … seinem Kinn, das er nun unwillkürlich berührte.
    »Ja«, sagte die alte Dame leise, »das ist Sarah, deine Mutter. Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Das Foto wurde wenige Wochen nach deiner Geburt gemacht.«
    »Was?«, stieß Will atemlos hervor und ließ das Bild vor Verblüffung fast fallen.
    »Dein richtiger Name ist Seth … auf diesen Namen bist du getauft worden. Das kleine Baby, das sie hält, das bist du.«
    Will hatte das Gefühl, als hätte sein Herz aufgehört zu schlagen. Er warf einen Blick auf das Bündel. Er konnte zwar sehen, dass es sich um einen Säugling handelte, aber sein Gesicht war zwischen den dicken Tüchern nicht zu erkennen. Wills Gedanken rasten wie wild und seine Hände zitterten, als seine Überlegungen und Empfindungen sich überschlugen. Doch in dem ganzen Gefühlswirrwar setzte sich ein Gedanke durch und machte Klick – so als hätte er bis dahin mit einem unlösbaren Problem gerungen und plötzlich die Antwort gefunden. Als hätte sich tief in seinem Unterbewusstsein eine bohrende Frage versteckt gehalten … der unausgesprochene Verdacht, dass seine Familie, Doktor und Mrs Burrows und Rebecca, die Menschen, die er sein Leben lang kannte, irgendwie anders waren als er.
    Er konnte sich kaum auf das Foto in seinen Händen konzentrieren und zwang sich nun, es noch einmal genauer zu betrachten, nach Details zu suchen.
    »Es stimmt«, sagte Großmutter Macaulay mit sanfter Stimme und Will stellte fest, dass er ebenfalls nickte. So unlogisch es auch erscheinen mochte, er spürte, er wusste mit absoluter Sicherheit, dass sie die Wahrheit sagte und dass diese Frau auf dem Schwarz-Weiß-Foto, mit dem leicht verschwommenen Gesicht, seine richtige Mutter war und all diese Leute, die er gerade kennengelernt hatte, tatsächlich seine Familie waren. Er konnte es sich selbst nicht erklären, aber plötzlich hatte er keine Zweifel mehr, dass es stimmte.
    Sein Verdacht, dass dies alles nur ein raffinierter Trick war, um ihn hereinzulegen, löste sich in Luft auf. Eine Träne lief ihm über die Wange und hinterließ eine helle Linie auf seinem ungewaschenen Gesicht. Hastig wischte er sie fort. Als er Großmutter Macaulay das Foto zurückgab, spürte er, wie er stark errötete.
    »Erzähl mir, wie es da oben ist – in Übergrund«, sagte sie, um ihm über den peinlichen Moment hinwegzuhelfen. Dankbar schaute er zu, wie sie den Rahmen wieder zusammensetzte und ihm das Bild dann reichte, damit er es auf den Kaminsims zurückstellte.
    »Tja …«, setzte er stockend an.
    »Kannst du dir vorstellen, dass ich noch nie Tageslicht gesehen oder die Sonne auf meinem Gesicht gespürt habe? Wie fühlt sich das an? Man sagt, es würde brennen.«
    Will hatte sich wieder in den Sessel sinken lassen und schaute nun vollkommen verblüfft

Weitere Kostenlose Bücher