Tunnel - 02 - Abgrund
sich wieder in seine Stimme geschlichen und er deutete auf die Rucksäcke. »Packt eure Sachen – wir müssen weiter.«
Als die Jungen ihre Rucksäcke geschultert hatten, drehte er sich um und setzte sich in Bewegung – eine hoch aufragende Gestalt, die mit kräftigen, langen Schritten durch den golden funkelnden Tunnel marschierte.
Erst eine ganze Weile später, nach einer zügigen Wanderung durch ein verwirrendes Labyrinth von Felsdurchgängen, erreichten die drei eine Art Rampe, die zu einem grob behauenen Torbogen führte. Drake griff um den Bogen herum, tastete einen Moment und zog dann ein Seil mit Knoten hervor.
»Auf geht’s«, sagte er und reichte den Jungen das Seil.
Will und Chester hangelten sich etwa zehn Meter an dem Seil in die Höhe und kletterten schließlich auf den Boden einer Höhle, wo sie vor Anstrengung schnaufend warteten. Drake folgte ihnen mit unglaublicher Leichtigkeit: Das Erklimmen des Seils kostete ihn nicht mehr Mühe, als ein normaler Mensch zum Öffnen einer Tür benötigt. Die Jungen fanden sich in einer Art achteckigem Atrium wieder, aus dem mehrere Öffnungen in andere schwach beleuchtete Räume führten. Der Boden war eben und mit feinem Sand bedeckt, und als Will mit den Schuhen durch den Sand schlurfte, konnte er am entstehenden Hall erkennen, dass die angrenzenden Höhlen sehr groß sein mussten.
»Das hier wird eine Weile unser Zuhause sein«, sagte Drake, öffnete den Gürtel um seine Hüfte und legte ihn ab. Dann zog er die Jacke aus und schwang sie sich über die Schulter. Als Nächstes griff er zu dem seltsamen Apparat vor seinen Augen und klappte ihn nach oben. Darunter kam sein anderes Auge zum Vorschein, das offensichtlich vollkommen intakt war.
Während Drake vor ihnen stand, fielen den beiden Jungen seine durchtrainierten Arme auf, sein außergewöhnlich kräftiger, sehniger Körper. Sein Gesicht mit den hohen Wangenknochen wirkte so hager, dass die Muskeln fast durch die schmutzbedeckte, ledrige Haut hindurchschimmerten, die mit einer Fülle von Narben übersät war. Manche traten deutlich hervor und erinnerten an dicke, gebleichte Bindestriche, während andere, wesentlich dünnere, sich wie helle Ranken um seinen Hals und über seine Wangen wanden.
Seine Augen unter den buschigen Brauen leuchteten in einem intensiven Blauton und strahlten eine derart Ehrfurcht gebietende Grimmigkeit aus, dass beide Jungen Drakes prüfendem Blick nur schwer standhalten konnten. Es schien, als verrieten seine Augen die Existenz eines beängstigenden Orts tief in seinem Inneren – eines Orts, den weder Will noch Chester je kennenlernen wollten.
»Okay. Wartet da drin.«
Drake zeigte auf eine Höhle, und die beiden Jungen marschierten gehorsam darauf zu.
»Aber lasst eure Rucksäcke hier«, befahl er und fügte dann, den Jungen noch immer zugewandt, hinzu: »Alles in Ordnung, Elliott?«
Will und Chester konnten nichts dagegen machen – sie mussten einfach an Drake vorbeischauen. Am oberen Ende des Seils stand das Mädchen, vollkommen reglos. Offensichtlich hatte sie sich nie weit hinter ihnen befunden, aber keiner der beiden Jungen hatte ihre Anwesenheit bemerkt – bis jetzt.
»Du wirst sie doch wohl einsperren, oder?«, fragte Elliott mit eisiger, unfreundlicher Stimme.
»Das ist nicht nötig, oder, Chester?«, erwiderte Drake.
»Nein.« Die Antwort des Jungen kam so prompt, dass Will ihn mit kaum verhohlenem Erstaunen anstarrte.
»Und was ist mit dir?«
»Äh … nein«, murmelte Will etwas weniger begeistert als sein Freund.
Nachdem die Jungen die Höhle betreten hatten, ließen sie sich schweigend auf zwei primitiven Betten nieder, dem einzigen Mobiliar im Raum. Die Betten waren gerade lang genug, aber nicht besonders breit und kaum gepolstert; im Grunde erinnerten sie eher an schmale Tische, über die jemand eine Decke geworfen hatte.
Während sie so dasaßen und warteten, ohne genau zu wissen, worauf, hallte die Höhle von Geräuschen aus dem Durchgang wider. Die Jungen nahmen die Töne einer gedämpften Unterhaltung zwischen Drake und Elliott wahr und hörten dann, wie ihre Rucksäcke auf den Kopf gestellt und deren Inhalt auf den Boden gekippt wurde. Schließlich vernahmen sie Schritte, die sich eilig entfernten, und dann nichts mehr.
Will holte eine Leuchtkugel aus der Tasche und ließ sie gedankenverloren über seinen Ärmel rollen. Da seine Jacke inzwischen getrocknet war, löste die Rollbewegung glitzernde Katzengoldpartikel vom Stoff, die in
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