Tunnel - 02 - Abgrund
trocken halten wollte, rasch in den Beutel. Dann zog er die Kordeln zu und drehte sich zu Chester um, der den Inhalt von Cals Rucksack weniger genau kannte und deshalb länger brauchte.
»Nun macht schon!«, knurrte Drake.
»Lass mich mal«, schlug Will vor, schob Chester zur Seite und erledigte die Aufgabe innerhalb weniger Sekunden.
»Okay«, sagte Drake. »Ist das alles?«
Die Jungen nickten.
»Kleiner Tipp: Ich schlage vor, dass ihr beim nächsten Mal wenigstens ein paar Socken in den Beutel packt.«
Die beiden waren so sehr mit ihrer Aufgabe beschäftigt gewesen, dass weder Will noch Chester auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatten, was als Nächstes kommen würde.
»Ja, Sir«, sagte Will. Die Worte »beim nächsten Mal« und der fast väterliche Rat dieses wildfremden Mannes beruhigten ihn.
»Hört zu, ich bin kein Sir … für niemanden«, fuhr Drake ihn unmittelbar darauf an, sodass Will sofort wieder ein mulmiges Gefühl beschlich. Er hatte gar nicht vorgehabt, Drake mit »Sir« anzusprechen; es war ihm nur herausgerutscht.
»’tschuldigung, S …«, setzte Will an, konnte sich aber gerade noch rechtzeitig unterbrechen und bemerkte ein kurzes, spöttisches Grinsen um Drakes Mund, ehe der Mann fortfuhr.
»Ihr werdet jetzt hier hindurchschwimmen.« Drake zeigte mit der Stiefelspitze auf den Boden am Fuß der Tunnelwand. Dort, wo die Jungen festen Boden vermutet hatten, entdeckten sie nun träge schwappende Wellen unter einer dicken Staubschicht. Offenbar handelte es sich um einen kleinen Teich von etwa zwei Metern Durchmesser.
»Schwimmen?«, fragte Chester und schluckte nervös.
»Du kannst doch wohl für dreißig Sekunden den Atem anhalten, oder, Junge?«
»Ja«, stammelte Chester.
»Gut. Das hier ist ein kleiner Schachtsumpf, der zu einem anderen Durchgang führt. Eine Art U-Krümmung.«
»So wie am Ende eines Klo-Rohrs?«, fragte Chester, mit dünner, sorgenvoller Stimme.
»Na, super, Chester, toller Vergleich«, murmelte Will und verzog das Gesicht.
Drake schenkte den Jungen ein schiefes Lächeln und zeigte dann auf das schwarze Wasser. »Dann mal los.«
Will setzte sich den Rucksack auf, drückte den wasserdichten Beutel an sich und näherte sich dem Rand. Ohne Zögern stieg er in den lauwarmen Teich, dessen Boden mit jedem Schritt steiler abfiel, holte dann tief Luft, tauchte den Kopf unter Wasser und verschwand.
Luftblasen streiften sein Gesicht, während er sich mit der freien Hand vorwärtszog. Er hielt die Augen fest geschlossen, hörte nur das Rauschen des Wassers in seinen Ohren. Obwohl der Schacht nicht besonders breit war – an der schmalsten Stelle etwa einen Meter –, ließ er sich relativ mühelos passieren, trotz des Rucksacks und des wasserdichten Beutels in Wills Hand.
Aber obwohl Will glaubte, gut vorwärts zu kommen, schien er das andere Ende des U-Bogens nicht zu erreichen. Er öffnete die Augen, sah aber nur tiefste Dunkelheit um sich herum, was sein Herz noch schneller schlagen ließ. Das Wasser fühlte sich träge und sirupartig an. Das hier war Wills schlimmster Albtraum.
Ist das alles nur ein Trick? Sollte ich umkehren?
Er versuchte, Ruhe zu bewahren, doch der Sauerstoffmangel sorgte dafür, dass sein Körper zu rebellieren begann. Will spürte, wie er von einer Woge der Panik erfasst wurde. Wie wild schlug er um sich und griff nach allem, was ihm helfen konnte, schneller voranzukommen. Er musste aus diesem tintenschwarzen Zeug heraus! Verzweifelt strampelnd trieb er in einer Art Zeitlupen-Sprint durch das dunkle Gewässer.
Für den Bruchteil einer Sekunde fragte Will sich, ob der Mann vielleicht vorhatte, sie beide auf diese Weise zu töten. Doch im gleichen Moment sagte er sich, dass Drake dazu gar nicht die ganze Mühe auf sich hätte nehmen müssen – es wäre viel einfacher gewesen, ihnen in der Großen Prärie die Kehle durchzuschneiden, falls er sie wirklich umbringen wollte.
Obwohl wahrscheinlich kaum eine halbe Minute verstrichen war, erschien es Will wie eine Ewigkeit, ehe er endlich mit einem riesigen Platscher an die Wasseroberfläche kam und hastig nach Luft schnappte.
Keuchend tastete er nach seiner Laterne und schaltete sie auf der kleinsten Stufe ein. Das gedämpfte Licht verriet ihm nicht viel über den Raum, in dem er sich befand; allerdings bemerkte er, dass der Boden und die Wände leicht glänzten. Er nahm an, dass dies an der Feuchtigkeit liegen musste. Dankbar für die Luft in seinen Lungen, setzte er sich und wartete auf
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