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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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lächelte ihn an. »Ich war … äh …«, setzte sie an, verstummte dann aber.
    »Wenn es irgendetwas gibt, das ich für dich tun kann … du brauchst nur zu fragen«, bot Joseph an.
    »Ich denke nicht, dass ich noch sehr viel länger hierbleiben werde«, erklärte sie und zögerte einen Moment. »Aber eines möchte ich noch erledigen, bevor ich abreise.«
    »Du brauchst nur zu fragen«, wiederholte er. »Du weißt, dass ich immer für dich da bin.« Er strahlte sie an, erfreut, dass sie sich ihm anvertraute.
    »Ich möchte, dass du mich hier rausbringst«, sagte Sarah leise.
     
    Wie ein Schatten huschte Sarah dicht an der Höhlenwand entlang. Sie war bereits mehreren Polizeistreifen aus dem Weg gegangen, die in den umliegenden Straßen ihre Runden drehten, und wollte nicht noch erwischt werden.
    Rasch duckte sie sich in eine Nische hinter einem alten Trinkbrunnen aus mattem Messing und überprüfte den dunklen Durchgang auf der anderen Straßenseite.
    Vorsichtig hob sie den Kopf und betrachtete die hohen, fensterlosen Mauern des äußeren Häuserrings. Vor vielen, vielen Jahren hatte sie genau an derselben Stelle gekauert und die Gebäude mit den Augen eines Kindes gesehen. Schon damals hatten die Häuser den Eindruck erweckt, als könnten sie jeden Augenblick einstürzen: Die Mauern waren von beunruhigenden Rissen durchzogen, und an vielen Stellen, an denen die Fassadensteine einfach weggebröckelt waren, gähnten riesige Löcher. Das Mauerwerk schien sich in einem derart schlechten Zustand zu befinden, dass man befürchten musste, es würde jeden Moment herabstürzen und über einem unglückseligen Passanten zusammenbrechen.
    Doch der Schein trog: Der Bereich der Stadt, den Sarah nun betreten wollte, gehörte zu den ältesten Teilen der Kolonie. Er stammte noch aus den Gründerjahren, und die Häusermauern waren stark genug, allem zu widerstehen, was der Mensch oder die Zeit ihnen anzuhaben versuchten.
    Sarah holte tief Luft, huschte dann über die Straße und schlüpfte in den nachtschwarzen Durchgang, der so schmal war, dass zwei Leute einander kaum passieren konnten. Sofort stieg ihr der Geruch in die Nase: der muffige Geruch der Bewohner, der Gestank einer ungeplanten Besiedelung, der so intensiv war, dass er fast körperlich greifbar in der Luft stand – eine Mischung aus menschlichen Exkrementen und faulenden Nahrungsresten.
    Der Durchgang endete in einer schwach beleuchteten Gasse, die wie alle Wege und Pfade in diesem Bezirk nicht viel breiter war als der düstere Hohlweg, den sie gerade hinter sich gelassen hatte.
    »Die Rookeries«, sagte Sarah leise, sah sich um und erkannte, dass sich das Elendsviertel kein bisschen verändert hatte – dieser Ort, an dem all jene Leute endeten, die nirgendwo sonst mehr hinkonnten. Während Sarah durch die Gassen lief, entdeckte sie hier und dort ein vertrautes Gebäude oder eine Tür, die noch Reste des alten Farbanstrichs trug. Ihre Gedanken wanderten zurück zu der Zeit, als Tarn und sie dieses verbotene und gefährliche Spielgelände erkundet hatten.
    Von Erinnerungen erfüllt, schlenderte sie durch die schmale Straße, wobei sie die flache Gosse in der Mitte sorgfältig vermied, in der ein träges Rinnsal aus Abwasser und verwesenden Gemüse- und Fleischresten floss. Auf beiden Seiten ragten windschiefe Fachwerkhäuser in den Weg hinein, die oberen Stockwerke so weit nach vorne geneigt, dass sie sich fast zu berühren schienen.
    Sarah blieb einen Moment stehen, um sich das Kopftuch zu richten, als eine kleine Bande zerlumpter Straßenkinder an ihr vorbeistürmte. Sie waren derart schmutzig, dass sie sich von der vor Dreck starrenden Umgebung kaum unterschieden.
    Zwei der Kinder, kleine Jungen, brüllten aus Leibeskräften »Ob nun Teufel oder Styx, seine Worte tun mir nix!«, während sie den anderen hinterherjagten. Sarah lächelte über ihre Unverfrorenheit: Wenn die Kinder diese Parole außerhalb des Elendsviertels gerufen hätten, wäre die grausame Strafe auf dem Fuße gefolgt. Plötzlich stolperte einer der Jungen über die Gosse in der Wegmitte und torkelte an einem Pulk alter Weiber vorbei. Die Frauen, die alle ähnliche Kopftücher wie Sarah trugen, standen tratschend zusammen, und eine von ihnen löste sich, fast ohne den Kopf abzuwenden, aus der Gruppe, als der Junge in ihre Reichweite kam. Mit unnötiger Härte verpasste sie ihm eine Ohrfeige und stauchte ihn wütend zusammen. Das Gesicht der Frau war von Falten und Blasen übersät und

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