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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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totenbleich.
    Der Junge taumelte leicht, rieb sich die Wange, murmelte etwas und rannte dann unbeirrt weiter. Sarah konnte ein Lachen nicht unterdrücken; sie erkannte in dem Jungen einen jugendlichen Tarn, die gleiche Zähigkeit und Unverwüstlichkeit, die sie an ihrem Bruder so bewundert hatte. Die Kinder rannten laut kreischend hintereinanderher, johlend und quietschend vor Vergnügen, bis sie durch eine Seitengasse stoben und verschwanden.
    Etwa zehn Meter von Sarah entfernt standen zwei brutal wirkende Männer in einem Torbogen; sie hatten lange, fettige Haare und zottelige Bärte und trugen schmuddelige Gehröcke. Sarah bemerkte, dass sie sie mit einem bösartigen Grinsen musterten. Der größere der beiden senkte den Kopf wie eine angriffslustige Bulldogge und machte einen Schritt auf sie zu. Dabei zog er einen knorrigen, wurzelartigen Knüppel aus seinem breiten Gürtel. Sarah fiel auf, mit welcher Leichtigkeit er ihn in der Hand hielt. Dies war keine leere Drohung. Sie wusste, dass er damit umzugehen verstand.
    Die Leute dieses Viertels schätzten es nicht, wenn Fremde von den gewohnten Pfaden abwichen und sich in ihr Territorium wagten. Sarah erwiderte den kalten, starrenden Blick des Mannes und verlangsamte ihre Schritte. Wenn sie ihre ursprüngliche Route fortsetzte, würde sie direkt an den Männern vorbeimüssen – es gab keinen anderen Weg. Die Alternative bestand darin, auf dem Absatz kehrtzumachen, was man ihr aber als Zeichen der Schwäche auslegen würde. Wenn die Männer auch nur einen Sekundenbruchteil den Verdacht hegten, Sarah würde sich fürchten und eigentlich nicht hierher gehören, würden sie auf sie losgehen – so lief das nun mal in den Rookeries. So oder so würde sie sich mit diesem Fremden auseinandersetzen müssen.
    Obwohl Sarah genau wusste, dass sie sich im Zweifelsfall durchaus verteidigen konnte, spürte sie die alte Furcht, das vertraute elektrisierende Kribbeln, das ihr den Rücken hinunterjagte. Dreißig Jahre zuvor hatten sie und ihr Bruder diesen Moment immer wieder gesucht, den Beginn des Kampfes, und seltsamerweise schenkte ihr diese Erinnerung ein eher beruhigendes Gefühl.
    »He! Du!«, rief plötzlich jemand hinter ihr und riss sie aus ihren Gedanken. »Jerome!«
    »Was?«, stieß Sarah verblüfft hervor.
    Sie wirbelte herum und blickte in die rot geränderten Augen einer alten Frau. Ihr Gesicht war mit riesigen Muttermalen gesprenkelt und sie zeigte mit einem arthritischen Finger anklagend auf Sarah.
    »Jerome«, krächzte die alte Frau noch lauter und selbstsicherer mit weit aufgesperrtem Mund, sodass Sarah ihr zahnloses rosarotes Zahnfleisch sehen konnte. Sarah bemerkte, dass ihr Kopftuch heruntergerutscht war und dass die Gruppe der Frauen ihr Gesicht aus nächster Nähe gesehen hatte. Aber woher in Gottes Namen wussten sie, wer sie war?
    »Jerome. Genau! Jerome!«, rief eine andere Frau mit heiserer Stimme, aus der zunehmende Gewissheit sprach. »Das ist Sarah Jerome, auf jeden Fall!«
    Obwohl ihre Verwirrung kaum größer sein konnte, gab Sarah sich alle Mühe, ihre verschiedenen Möglichkeiten blitzschnell zu durchdenken: Sie sondierte die umliegenden Türen – falls es zum Schlimmsten kam, konnte sie sich vielleicht einen Weg durch eines der halb verfallenen Häuser bahnen und sich dann in dem dahinterliegenden Labyrinth aus Gassen und Wegen aus dem Staub machen. Aber es sah nicht gut aus. Sämtliche Türen waren fest verschlossen oder mit Brettern vernagelt.
    Sie war umzingelt. Es gab nur zwei Wege aus dieser Situation – entweder vorwärts oder zurück. Rasch warf sie einen Blick auf die Gasse hinter den alten Weibern und überlegte, ob sie an ihnen vorbeistürmen und das Elendsviertel möglichst schnell wieder verlassen sollte, als eine der Frauen einen durchdringenden Schrei ausstieß.
    »SARAH!«
    Die unglaubliche Lautstärke ließ Sarah zurückzucken. Doch als der Schrei verklungen war, breitete sich Ruhe über dem Ort aus – eine unheimliche, wachsame Stille.
    Sarah wirbelte erneut herum und bewegte sich von den Frauen fort, wohl wissend, dass dieser Weg sie direkt an dem bärtigen Mann vorbeiführen würde. Also gut! Dann würde sie sich eben mit ihm auseinandersetzen müssen.
    Als sie sich ihm näherte, hob er den Knüppel auf Schulterhöhe, und Sarah wappnete sich für den Kampf: Entschlossen riss sie sich das Kopftuch herunter und wickelte es um ihren Arm. Sie hätte sich ohrfeigen können, dass sie ihr Messer nicht mitgenommen hatte.
    Sarah war

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