Tunnel - 02 - Abgrund
Essen. Dieses Mal klang es deutlich näher und lauter. Dr. Burrows verspürte einen starken Windzug auf seinem Gesicht – es handelte sich also um etwas Größeres. Ruckartig nahm er die Leuchtkugel herunter, bedeckte ihr Licht mit der Hand und kauerte sich auf den Boden.
Die Angst schnürte ihm den Magen zusammen. Mühsam kämpfte er gegen das plötzliche Verlangen an davonzulaufen und verharrte stattdessen reglos zwischen den Felsen. Er befand sich auf offenem Terrain, ohne jede Deckung weit und breit, in einer extrem exponierten Lage. Rasch warf er einen Blick auf die Milbe. Sie verhielt sich derart reglos, dass er eine Weile benötigte, bis er sie auf dem Pfad ausfindig machen konnte. Er vermutete, dass es sich dabei um ein Schutzverhalten handelte – das Lebewesen wollte sich verbergen. Daraus schloss er, dass über ihnen etwas kreiste, vor dem man durchaus Angst haben konnte. Wenn schon eine Riesenmilbe, von der Größe eines ausgewachsenen Elefanten und durch einen zentimeterdicken Rückenpanzer geschützt, Grund zur Beunruhigung hatte, dann war er selbst eine leichte Beute. Ein feiner, weicher, fleischiger Snack, ein mundgerechter Bissen.
Wusch! Wieder brauste es.
Ein riesiger Schatten legte sich über ihn.
Etwas kam nah und näher – flog wie ein Falke in immer engeren Kreisen.
Dr. Burrows wusste, dass er dort, wo er war, nicht bleiben durfte. In diesem Moment setzte sich das Insekt wieder in Bewegung und trippelte rasch in die Richtung, in die sich der Pfad nach Dr. Burrows’ Vermutung fortsetzte. Er zögerte einen Moment und rannte der Milbe dann hinterher, über das Fundament und den unebenen Boden. Bei seiner blinden Flucht schrammte er sich die Schienbeine an den Felsen auf und rutschte und strauchelte über Hindernisse, doch irgendwie gelang es ihm, auf den Beinen zu bleiben.
Wusch!
Das Brausen ertönte dicht über ihm. Dr. Burrows unterdrückte einen Schrei und hielt sich im Laufen schützend die Arme über den Kopf. Was in Gottes Namen war das? Ein geflügeltes Raubtier? Ein auf seine Beute herabstoßender Greifvogel?
Er hatte nun wieder den Pfad erreicht, konnte aber kaum glauben, wie schnell die Milbe sich auf ihren sechs Beinen vorwärts bewegte. Sie war fast nicht mehr zu erkennen, und wäre da nicht die Andeutung eines Wegs gewesen, hätte er sich bestimmt verirrt. Aber wohin führte der Pfad, dem die Milbe folgte?
Wusch! Wusch! Es brauste nun ganz in seiner Nähe!
»Mein Gott!«, schrie er und ließ sich auf den Boden fallen. Ein warmer Luftzug vom Schlag schemenhafter Flügel strich ihm übers Gesicht. Das war knapp! Dr. Burrows krabbelte auf allen vieren vorwärts und verdrehte verzweifelt den Kopf, um einen Blick auf die Quelle des Geräuschs zu erhaschen. Bestimmt flog es in einem Kreis dicht über ihm und würde jeden Moment in den endgültigen Sturzflug übergehen, um seine Beute zu erlegen.
War dies das Ende? Würde er von einem unterirdischen Flugwesen vom Boden gepflückt werden?
Während er wie ein Verrückter weiterkrabbelte, überschlugen sich seine Gedanken. Er musste einen Ort finden, wo er sich verstecken konnte, und zwar schnell!
Mit gesenktem Kopf krabbelte er weiter und stieß plötzlich gegen ein Hindernis. Benommen sank er flach auf den Boden, versuchte aber sofort zu erkennen, wogegen er gestoßen war. Da er sich noch immer auf dem Pfad befand, vermutete er, dass die Milbe ebenfalls hier entlanggelaufen sein musste. Er hatte die Wand der Höhle erreicht – das konnte er zumindest sehen. Aber da war noch mehr. Vor ihm befand sich ein in die Felswand gehauener Durchgang, dessen Sturz in etwa zwanzig Metern Höhe schwebte.
Erleichtert stöhnte Dr. Burrows auf, und die Hoffnung keimte in ihm auf, dass er möglicherweise einen sicheren Ort gefunden hatte. Rasch krabbelte er durch das Tor und ermahnte sich, möglichst dicht über dem Boden zu bleiben. Obwohl er sich beide Knie und Schienbeine aufschrammte und die Knöchel im Geröll wund scheuerte, hielt er erst inne, als er das brausende Geräusch mehrere Sekunden nicht mehr gehört hatte. War er in Sicherheit?
Dr. Burrows sank auf den Boden und rollte sich fest zusammen, unfähig, ein heftiges Zittern zu unterdrücken – eine verspätete Reaktion auf das nackte Entsetzen, das er gespürt hatte. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu zittern, obwohl um ihn herum nun alles still und ruhig war. Und als sei dies noch nicht genug, bekam er auch noch einen Schluckauf, der seinen Körper jedes Mal
Weitere Kostenlose Bücher