Tunnel - 02 - Abgrund
schwirrten sie so schnell über ihren Köpfen, dass es Will nicht gelang, den Flug einer einzelnen Fledermaus zu verfolgen.
»Das ist gar nicht gut!«, stieß er hervor, als die ledrigen Schwingen schwere Luftwirbel um sie herum erzeugten. Im nächsten Moment stürzten die Fledermäuse auf die Jungen herab und wichen erst in letzter Sekunde aus.
Will und Chester rasten hinter Cal die Straße hinunter, ohne darüber nachzudenken, wohin sie liefen, solange sie nur den Attacken dieser fliegenden Monster entkommen konnten. Und sie verschwendeten keinen Gedanken daran, ob die Fledermäuse tatsächlich eine Gefahr darstellten – angetrieben von einer Art Urangst, versuchten sie nur noch, vor diesen überdimensionalen Höllenwesen zu fliehen.
Und wie als Antwort auf ihre verzweifelte Lage tauchten aus der Dunkelheit die Umrisse eines Hauses auf. Die strenge helle Fassade des zweigeschossigen Gebäudes mit den fest verschlossenen Fensterläden ragte hoch über den niedrigen Hütten auf. Auf beiden Seiten befanden sich mehrere Nebengebäude, an deren Türen Cal im Laufen verzweifelt rüttelte, auf der Suche nach einem Unterschlupf.
»Schnell! Hierher!«, schrie er, als er entdeckte, dass die Eingangstür des Hauses einen Spalt offen stand.
Inmitten dieses albtraumhaften Chaos warf Will einen Blick über die Schulter und sah, wie sich eine besonders große Fledermaus mit voller Wucht in Chesters Nacken stürzte. Im nächsten Moment hörte er das dumpfe Geräusch des Aufpralls, und der schwarze, massige Tierkörper von der Größe eines Rugbyballs brachte Chester aus dem Gleichgewicht. Will rannte zu seinem Freund, um ihm zu helfen, während er sich gleichzeitig bemühte, das eigene Gesicht mit dem Arm zu schützen.
Hektisch brüllte er auf Chester ein, zerrte ihn auf die Füße und zog den benommenen und leicht schwankenden Jungen in Richtung des seltsamen Hauses. Mit den Armen rudernd, versuchte er, die Tiere von ihnen beiden fernzuhalten, als sich eine Fledermaus in seinen Rucksack bohrte. Der Aufprall ließ ihn zur Seite taumeln, doch er konnte sich in letzter Minute an seinem noch immer verwirrten Freund festhalten.
Will sah, dass die Fledermaus zu Boden gegangen war – einer ihrer Flügel hing zuckend und nutzlos an ihr herab. Im Bruchteil einer Sekunde stürzte eine andere Fledermaus auf den verletzten Artgenossen zu. Ein zweites Tier schoss auf den Boden und ließ sich neben der Angreiferin nieder. Und sofort folgten weitere, bis die Fledermaus mit dem gebrochenen Flügel vollständig von flatternden Flugwesen umzingelt war, die bösartig kreischten, als würden sie sich streiten. Als das verletzte Tier vergeblich versuchte, unter den anderen Exemplaren hervorzukriechen und zu fliehen, erkannte Will, dass sie nach ihm bissen und ihre winzigen, nadelspitzen Zähne bereits mit dem scharlachroten Blut des Opfers benetzt waren. Erbarmungslos schlugen sie zu und attackierten den Brust- und Bauchbereich ihres unglückseligen Artgenossen, bis dieser grässlich zu kreischen begann.
Rasch riss Will sich von dem Anblick los und legte zusammen mit Chester gebückt und leicht schwankend das restliche Stück Straße zurück. Sie torkelten die Stufen hinauf, rannten unter das Vordach und durch die Tür, die Cal ihnen aufhielt und dann sofort zuknallte, nachdem sie sich ins Haus gerettet hatten. Die Jungen hörten, wie sich mehrere Fledermäuse gegen die Tür warfen und wie die Schwingen anderer Exemplare über das Holz streiften. Doch nach einer Weile gaben sie ihre Angriffe auf, und bald war nichts mehr zu hören außer ihren seltsamen schrillen Pfeiftönen, die so dünn und hoch klangen, dass sie kaum wahrnehmbar waren.
In der darauf folgenden Stille versuchten die Jungen, wieder zu Atem zu kommen, und schauten sich um. Sie stellten fest, dass sie sich in einer imposanten Eingangshalle mit einem großen Kronleuchter befanden, dessen kunstvoller Glasschmuck von einer pelzig grauen Staubschicht bedeckt war. Auf beiden Seiten der Halle führten elegant geschwungene Treppen zu einer Galerie hinauf. Das Haus schien leer zu stehen; sämtliche Möbel fehlten und an den dunklen Wänden hingen nur noch Fetzen der alten Tapete. Das Gebäude sah aus, als wäre es bereits seit vielen Jahren nicht mehr bewohnt.
Will und Cal wateten langsam durch den Staub, der so hoch wie frisch gefallener Schnee lag, während Chester sich noch immer ganz benommen fühlte und schwer keuchend gegen die Haustür lehnte.
»Alles in Ordnung mit dir?«,
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