Tunnel - 02 - Abgrund
Weggabelung zurückzukehren, fiel das Licht ihrer Leuchtkugeln um eine Ecke, schnitt eine Schneise in die Dunkelheit und beleuchtete ein Hindernis, das ihnen den Weg versperrte – eine Konstruktion, die eindeutig nicht natürlichen Ursprungs war.
»Also dann gibt es hier ja doch irgendetwas«, stieß Will erleichtert hervor.
Als sie sich dem Hindernis näherten, weitete sich der Tunnel zu einer größeren Höhle aus. Mit jedem Schritt ließen die Leuchtkugeln eine hoch aufragende, palisadenartige Konstruktion mit zwei etwa zehn Meter hohen Türmen deutlicher hervortreten, die eine Art Tor bildeten. Schließlich konnten die Jungen eine hoch zwischen den Türmen befestigte Metalltafel lesen, auf der in grob herausgestanzten Buchstaben Stätte der Klamm stand.
Vorsichtig wagten sich die Jungen näher heran, wobei Schotter und Steine unter ihren Füßen knirschten. Der Palisadenzaun erstreckte sich auf beiden Seiten bis zu den Höhlenwänden, und es schien nur diesen einzigen Zugang zu geben – das offen vor ihnen liegende Tor. Schweigend nickten sie sich zu, schlüpften hindurch und entdeckten auf der anderen Seite des Tors mehrere Gebäude.
»Sieht aus wie eine Geisterstadt«, meinte Chester mit einem Blick auf die niedrigen Hütten, die beide Seiten des Hauptwegs säumten. »Hier kann unmöglich jemand leben«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
Falls einer der Jungen darauf gesetzt hatte, die Hütten könnten bewohnt sein, wurde diese Illusion in dem Moment zunichte gemacht, als sie erkannten, in welchem Zustand sich die Bauten befanden. Viele waren schlichtweg zusammengebrochen, und bei den noch verbliebenen Hütten standen die Eingangstüren sperrangelweit offen oder fehlten gänzlich. Außerdem waren sämtliche Fenster zerschlagen.
»Ich werf mal kurz einen Blick hinein«, sagte Will vor einer Hütte und bahnte sich einen Weg durch kreuz und quer liegende Holzbalken auf der Türschwelle, während Chester ihm nervös nachsah. Als Will sich am Türpfosten abstützen wollte, ächzte und schwankte das gesamte Gebäude unheilvoll, und der Junge zuckte zusammen.
»Pass auf, Will!«, rief Chester warnend und wich ein Stück zurück, falls die altersschwache Konstruktion zusammenbrechen sollte. »Das Ding sieht ziemlich morsch aus.«
»Jaja«, murmelte Will, ließ sich aber nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er betrat die Hütte und leuchtete mit seiner Kugel in die Ecken des Raums, während er vorsichtig über Dreck und Unrat auf dem Boden stieg.
»Hier stehen jede Menge Stockbetten«, rief er den anderen beiden Jungen zu, die vor der Hütte warteten.
»Stockbetten?«, wiederholte Cal fragend. Plötzlich drang ein lautes Splittern zu ihnen nach draußen, gefolgt von einem unterdrückten Fluch: Will war mit einem Fuß durch den Boden gekracht.
»Verdammt!« Behutsam befreite er seinen Fuß und ging vorsichtig und rückwärts den Weg zurück, den er genommen hatte. Dabei fiel sein Blick auf einen Gegenstand in einer dunklen Ecke, vielleicht ein Kaminofen oder etwas Ähnliches … Doch eingedenk des bedenklichen Zustands des Holzbodens beschloss er, dass er genug gesehen hatte. »Hier ist nichts Besonderes«, rief er den Jungen zu und kehrte zu ihnen zurück.
Gemeinsam liefen sie weiter durch die breite Straße, bis Cal plötzlich das Schweigen brach.
»Riechst du das?«, wandte er sich an Will. »So ein scharfer Geruch, wie …«
»Ammoniak. Ja«, warf Will ein und beleuchtete mit seiner Kugel den Bereich vor seinen Füßen. »Der Geruch scheint … aus dem Boden zu kommen. Und der fühlt sich irgendwie feucht an«, stellte er fest, als er die Schuhkappe in den Höhlenboden bohrte. Er hockte sich hin, nahm etwas Erde und hielt sie sich unter die Nase. »Bäh, das ist dieses Zeugs hier. Das stinkt so. Sieht aus wie getrockneter Vogelkot. Nennt man das nicht Guano?«
»Ach, von Vögeln. Na dann ist ja gut«, seufzte Chester erleichtert auf und erinnerte sich an die Begegnung mit dem harmlosen Vogelschwarm in der Kolonie.
»Nein, nicht von Vögeln. Das Zeug hier ist irgendwie anders«, berichtigte Will sich sofort. »Und es ist ziemlich frisch … fühlt sich echt matschig an.«
»Oh Mann«, zischte Chester und schaute sich panisch um.
»Igitt, da ist ja was drin! Irgendwelche Dinger!«, stellte Will fest und verlagerte rasch sein Gewicht, ohne dabei aus der Hocke zu gehen.
»Was für Dinger?«, quietschte Chester und hüpfte wie elektrisiert von einem Fuß auf den anderen.
»Insekten. Da!
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