Tunnel - 02 - Abgrund
Mitte des Saals erreicht hatten und sich umsahen, lachten sie leise in sich hinein, da das Ganze so unerwartet und völlig unerklärlich war.
Will musste mehrmals niesen, weil ihn der Staub in der Nase kitzelte. »Ich sag euch was«, setzte er an, schniefte und schnäuzte sich dann.
»Und was?«, fragte Chester.
»Dieses Haus ist eine Schande. Hier ist es ja noch dreckiger als in meinem eigenen Zimmer.«
»Stimmt, diesen Raum hat das Zimmermädchen definitiv vergessen«, erwiderte Chester lachend und tat so, als würde er eine Teppichkehrmaschine über den Boden schieben. Daraufhin konnten er und Will sich nicht mehr halten und brachen in ein wieherndes Gelächter aus, während Cal ihnen kopfschüttelnd einen Blick zuwarf, als hätten sie vollständig den Verstand verloren.
Danach nahmen die Jungen ihre Erkundungstour wieder auf und wateten in die angrenzenden Zimmer. Dabei handelte es sich hauptsächlich um kleine Hauswirtschaftsräume, die ebenfalls leer waren. Schließlich kehrten die Jungen zur Eingangshalle zurück, wo Will eine Tür am Fuß einer der Treppen aufstieß.
»He! Bücher!«, rief er. »Das ist eine Bibliothek!«
Bis auf den Bereich vor den beiden großen Fenstern mit den fest verschlossenen Läden waren sämtliche Wände bis unter die Decke mit hohen Bücherregalen versehen. Der Raum musste etwa dreißig Meter im Quadrat messen, und an seinem hinteren Ende stand ein langer Tisch mit einer Reihe umgestürzter Stühle.
Die Fußstapfen auf dem Boden entdeckten die drei Jungen gleichzeitig – sie ließen sich in dem ansonsten perfekten Staubteppich auch kaum übersehen. Cal platzierte seinen Fuß in einen der Abdrücke, um dessen Größe abzuschätzen. Zwischen der Kappe seines Schuhs und dem vorderen Rand des Abdrucks lagen mehrere Zentimeter. Er und Will tauschten einen Blick, woraufhin Will bestätigend nickte und nervös in die dunklen Ecken der Bibliothek blinzelte.
»Die Spur führt dort drüben hin«, flüsterte Chester. »Zum Tisch.«
Die Fußabdrücke verliefen von der Tür, in der die Jungen standen, bis zu den Bücherregalen, umkreisten dann mehrfach den Tisch und verloren sich dahinter in einem hektischen Wirrwarr.
»Wer auch immer hier gewesen ist, er hat den Raum jedenfalls wieder verlassen«, stellte Cal fest und beugte sich über eine andere, weniger auffällige Spur, die an weiteren Bücherregalen vorbei und schließlich wieder zur Tür führte.
Will hatte sich inzwischen tiefer in die Bibliothek hineingewagt und hielt seine Leuchtkugel hoch, um die Ecken zu inspizieren. »Ja, der Raum ist leer«, bestätigte er, als die beiden anderen Jungen ihm folgten.
Schweigend gesellten sie sich zu ihm und lauschten auf das gelegentliche Flattern und hohe Pfeifen der Fledermäuse auf der anderen Seite der Fensterläden.
»Ich geh da nicht wieder raus … jedenfalls nicht, bevor diese grässlichen Biester verschwunden sind«, sagte Chester und lehnte sich gegen den Tisch. Er ließ die Schultern hängen und blies erschöpft die Backen auf.
»Ja, ich denke auch, wir sollten hier ein Weile Pause machen«, pflichtete Will ihm bei, nahm den Rucksack von den Schultern und hievte ihn auf den Tisch.
»Also überprüfen wir nun den Rest des Hauses oder nicht?«, drängte Cal.
»Ich weiß ja nicht, was mit euch beiden ist, aber ich brauch jetzt erst mal was zu essen«, warf Chester ein.
Will bemerkte, dass Chesters Stimme plötzlich undeutlicher klang und seine Bewegungen angestrengt wirkten. Die lange Wanderung und die hektische Flucht vor den Fledermäusen hatten offensichtlich ihren Tribut gefordert. Vermutlich litt sein Freund immer noch unter den Nachwirkungen der schlechten Behandlung in der Arrestzelle.
»Wie wär’s, wenn du auf unsere Sachen aufpasst, Chester, während Cal und ich …«, setzte Will an, schon halb auf dem Weg zur Tür, als sein Blick auf die Bücher in den Regalen fiel. »Diese Bucheinbände sind fantastisch«, murmelte er und ließ das Licht seiner Kugel darüber scheinen. »Und wirklich uralt.«
»Tatsächlich?«, erwiderte Chester desinteressiert, öffnete die Klappe von Wills Rucksack und angelte sich einen Apfel.
»Ja. Dieses Buch hier ist besonders interessant. Es heißt Aufstieg und Entwicklung der Religion in der Seele von … äh …« Will wischte den Staub vom Einband und beugte sich vor, um den Rest der Goldschrift auf dem dunklen Lederrücken lesen zu können. »Von Reverend Philip Doddridge« .
»Klingt echt spannend«, kommentierte Chester mit
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