Tunnel - 02 - Abgrund
ihm richtete.
Ein Ruck ging durch Chesters Körper: Während er die Styx beobachtete, überkam ihn ein Gefühl, als wäre er auf ein Nest der bösartigsten und giftigsten Schlangen gestoßen, die man sich nur vorstellen kann. »Oh, Mann, wie ich sie hasse«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Hm?«, erwiderte Will vage, während er interessiert einen Kieselstein mit glitzernden Einschlüssen untersuchte und dann mit dem Daumen wegschnipste.
Es bedurfte keines Psychiaters, um zu erkennen, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte … dass der Tod seines Bruders ihn vollständig aus der Bahn geworfen hatte.
»Was ist los mit dir, Will?«, fragte Chester verzweifelt. »Die Typen da unten … das sind Styx, Herrgott noch mal.«
»Klar«, sagte Will. »Natürlich sind das Styx.«
Chester war wie vor den Kopf geschlagen angesichts der völlig ungerührten Haltung seines Freundes. »Also, bei mir sorgen sie jedenfalls für eine ziemliche Gänsehaut. Lass uns von hier verschwinden …«, flüsterte er eindringlich und kroch langsam zurück.
»Hast du die Koprolithen gesehen?«, fragte Will und zeigte achtlos auf die Szenerie unter ihnen.
»Was?«, murmelte Chester und versuchte, sie auszumachen. »Wo denn?«
»Da … gegenüber von den Styx …«, erwiderte Will und drückte sich hoch, um besser sehen zu können, »… direkt in ihrem Lichtstrahl.«
»Wo genau?«, flüsterte Chester. Dann warf er einen Blick auf seinen Freund neben ihm und knurrte aufgebracht: »Herrje! Nimm deinen Kopf runter, du Schafsnase. Sie können dich doch sehen!«
»Okay, okay«, erwiderte Will und duckte sich etwas tiefer.
Chester wandte sich wieder dem Schauspiel vor ihm zu. Aber trotz des hellen Lichtstrahls der Styx-Laterne erkannte er die Koprolithen erst, als sich einer von ihnen bewegte (einer oder eine – Chester fiel es immer noch schwer, die schwerfälligen Koprolithen als Menschen zu betrachten). Die Kopflichter ihrer Helme waren im hell ausgeleuchteten Talkessel kaum zu erkennen, und ihre sandfarbenen Staubanzüge verschmolzen so perfekt mit dem Geröll des Kratergrunds, dass Chester auch nach der Entdeckung der ersten gedrungenen Gestalt noch größte Schwierigkeiten hatte, weitere Koprolithen auszumachen. Schließlich stellte er fest, dass es sich tatsächlich um eine ziemliche große Gruppe dieser Erdbewohner handelte, die sich in einer ungleichmäßigen Reihe vor den Styx aufgestellt hatten.
»Wie viele sind das denn?«, fragte er Will.
»Schwer zu sagen. Etwa zwanzig?«
Der Styx, der leicht abseits gestanden hatte, marschierte nun im Bereich zwischen seinen eigenen Männern und den Koprolithen auf und ab. Plötzlich blieb er abrupt stehen und richtete seine Laterne auf die kleinen Gestalten. Obwohl Will und Chester durch die Entfernung und das Pfeifen des Windes nichts hören konnten, erkannten sie an der Art und Weise, wie der Styx mit den Armen fuchtelte und den Kopf ruckartig bewegte, dass er die Koprolithen anschrie. Die Jungen schauten mehrere Minuten zu, bis Will schließlich unruhig wurde und in seinen Taschen herumwühlte.
»Ich hab Hunger. Hast du noch Kaugummi?«
»Du machst wohl Witze – wie kannst du in so einem Moment Hunger haben?«, fragte Chester.
»Keine Ahnung … gib mir einfach was von deinem Kaugummi, okay?«, jammerte Will.
»Jetzt reiß dich mal zusammen, Will«, mahnte Chester aufgebracht, ohne jedoch den Blick von den Styx abzuwenden. »Du weißt, wo das Kaugummi ist.«
In seinem verwirrten Geisteszustand brauchte Will eine halbe Ewigkeit, bis er eine der Seitenklappen an Chesters Rucksack geöffnet hatte. Leise murmelnd kramte er in der Tasche herum, bis er schließlich das grüne Päckchen Kaugummi gefunden hatte. Er legte es vor sich auf den Boden und schloss dann die Seitenklappe wieder.
»Willst du auch einen Kaugummi?«, fragte er Chester.
»Nein, das will ich nicht!«, zischte sein Freund.
Will nahm das Päckchen, ließ es ein paar Mal fallen, als wären seine Hände taub, und schaffte es schließlich, es zu öffnen und einen der Kaugummistreifen herauszuziehen. Mit zitternden Fingern machte er sich daran, die Papierhülle über der Silberfolie abzustreifen – bis beide Jungen plötzlich einen unterdrückten Schrei ausstießen.
Sie spürten ein erdrückendes Gewicht auf ihrem Rücken, während ihnen ein Messer an die Kehle gehalten wurde.
»Keinen Mucks!« Die Stimme war tief und kehlig, als würde sie nicht oft benutzt, und erklang direkt hinter Wills
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